MITTEILUNGEN 08/2007, Seite 233, Nr. 144

Entwicklung von Ganztagsangeboten im Land Brandenburg – Zwischenbilanz eines gesellschafts- und schulpolitischen Reformprojektes

Burkhard Jungkamp, Staatssekretär im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport

Kaum ein Reformprojekt der letzten Jahre aus dem Politikfeld Schule und Jugend kann eine Erfolgsbilanz aufweisen wie die Entwicklung von Ganztagsangeboten an Schulen. Bereits in diesen einleitenden Sätzen wähle ich ganz bewusst nicht der Begriff der Ganztagsschule, denn mit diesem Entwicklungsprozess verbinde ich die weiter gehende Idee eines lokalen Konsenses über breitere aufeinander bezogene Angebote zur Erziehung, Bildung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen. Etwas verkürzt wird in den Medien dieses schul- und gesellschaftspolitische Reformprojekt als Ganztagsschulprogramm beschrieben und manchmal auf die Frage verkürzt, wie weit die einzelnen Bundesländer denn beim Einsatz der Bundesmittel für die Investitionen inzwischen gekommen seien. Die Zwischenergebnisse eines solchen Blicks mögen bisweilen spektakulär sein, aber sie werden in dieser Verkürzung der Vielzahl der notwendigen kleinen Schritte hin zu einer veränderten kommunalen Bildungslandschaft kaum gerecht. Ganztagsangebote sollen mehrere Funktionen erfüllen; lassen sie mich einige besonders wichtige nennen:

  • Vor dem Hintergrund der unzureichenden Bildungsergebnisse unserer Schülerinnen und Schüler sollen Ganztagsangebote weiterentwickelt und ausgebaut werden, um vertiefte Lern- und Förderangebote bei der Bildung, Erziehung und Betreuung für möglichst viele Schülerinnen und Schüler zu ermöglichen.
  • Durch die Kooperation von Schule, Jugendhilfe und anderen Trägern sollen attraktive Lern- und Lebensorte für junge Menschen entstehen und insbesondere in den dünn besiedelten ländlichen Regionen die Erreichbarkeit jugendkultureller Angebote gesichert werden. Ganztagsangebote sollen auch verstärkt die Ressourcen, die im Gemeinwesen vorhanden sind, für die Schülerinnen und Schüler nutzbar machen.
  • Die Veränderung der Familie und der Erwerbsstrukturen erfordern ganztägige Angebote für Kinder. Der Ausbau von Ganztagsangeboten dient der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


Dennoch kann der Schub, den das Bundesprogramm Zukunft Bildung und Betreuung für dieses Reformvorhaben im Land Brandenburg geleistet hat, nicht hoch genug geschätzt werden.

Zwischenbilanz im Sommer 2007


Zunächst ein paar harte Fakten über den erreichten Stand der Entwicklung von Ganztagsangeboten an Schulen zum Beginn des Schuljahres 2007/08:
In diesem Schuljahr werden an 149 von 450 Grundschulen bzw. Grundschulteilen an Oberschulen Ganztagsangebote bestehen, davon arbeiten 73 nach dem Modell der verlässlichen Halbtagsgrundschule in enger Kooperation mit dem Hort und 75 unterbreiten Ganztagsangebote in offener Form. Eine Schule – die Jenaplanschule in Lübbenau – arbeitet nach einem besonderen Modell, dass den spezifischen Ansätzen ihres pädagogischen Profils gerecht wird. Bereits im August 2003 hatte das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport in seinen Eckpunkten zur Weiterentwicklung und Ausweitung von Ganztagsangeboten das Ziel beschrieben, dass Ganztagsangebote an Grundschulen für rund 25 Prozent aller Grundschülerinnen und Grundschüler zur Verfügung stehen sollen. Dieser Quote entspricht eine Zahl von rd. 25.800 Ganztagsplätzen in der Primarstufe. In diesem Schuljahr werden an den genehmigten Schulen rd. 22.400 Ganztagsplätze angeboten.. Die rechnerischen Versorgungsquoten differieren dabei nicht unerheblich in den Landkreisen und kreisfreien Städten; so liegen sie z.B. in Cottbus oder dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin erheblich über diesem Wert und in den Landkreisen Barnim und Havelland deutlich darunter.

In der öffentlichen Diskussion wird häufig vergessen, dass der Ausbau von Ganztagsangeboten jenseits der getätigten Investitionen mit höheren Ausgaben bei den Kommunen für das nicht lehrende Personal und für die laufenden Sachausgaben einhergeht. Und das Land stellt in Abhängigkeit vom realisierten Modell der Ganztagsangebote zusätzliche Lehrerstellen bereit. Deren Zahl beläuft sich im Schuljahr 2007/08 auf knapp 140 Stellen – für die Experten unter Ihnen: gemeint sind rechnerische Vollzeitstellen. Für den weiteren Ausbau bis zum Erreichen des genannten Zielwertes ist in den Haushaltsplanungen eine entsprechende Vorsorge getroffen.

An den weiterführenden allgemein bildenden Schulen in der Sekundarstufe I werden im Schuljahr 2007/08 an 101 von ca. 220 langfristig bestehenden Schulen Ganztagsangebote unterbreitet, davon an 65 Oberschulen, 21 Gesamtschulen und 15 Gymnasien. 66 Schulen haben sich dabei für voll oder teilweise gebundene Modelle entschieden und 35 realisieren die Angebote in offener Form. Auch für diesen Teil des Bildungswesens hatte das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport ein quantitatives Ausbauziel formuliert: Es sollte eine rechnerische Quote von 33 Prozent oder von rd. 22.600 Ganztagsplätzen erreicht werden. Auch hier ist das politisch gesetzte Ziel mit rd. 20.500 Ganztagsplätzen und einer Quote von rd. 30 Prozent nahezu erreicht. Die regionalen Unterschiede beim Ausbau sind nicht so groß wie in der Primarstufe. Allerdings weisen insbesondere die kreisfreien Städte durchweg eine sehr hohe Quote auf. Vergleichsweise gering ist der Versorgungsgrad noch in den Landkreisen Spree-Neiße und Potsdam-Mittelmark.
Auch hier kann ich die Mehraufwendungen nur für die Landesebene relativ genau beziffern; sie liegen bei knapp 190 zusätzlichen Lehrerstellen. Aber auch hier ist mir bewusst, dass das längere Offenhalten der Sportanlagen und Schulgebäude und die Vielzahl von Arbeitsgemeinschaften und sonstigen Angeboten ein hohes finanzielles Engagement der Kommunen verlangt.
Nicht vergessen möchte ich bei dieser Zwischenbilanz, dass im Bereich der Förderschulen (ohne die Förderschulen für Geistigbehinderte, die per se als Ganztagsschulen organisiert sind) an 22 Schulen Ganztagsangebote bereit gestellt werden, darunter an 20 von 47 derzeit bestehenden allgemeinen Förderschulen.

Zum Abschluss dieser kurzen Zwischenbilanz will ich auch kurz auf den erreichten Stand bei der Umsetzung des Investitionsprogramms Zukunft Bildung und Betreuung eingehen. Anders als die mir bekannte Praxis in allen anderen Bundesländern ist das Land Brandenburg den Weg gegangen, sowohl für größere Investitionsvorhaben als auch für kleinere Projekte Investitionshilfen zur Verfügung zu stellen. Und das Land hat den Schulträgern für große Investitionsvorhaben neben der klassischen Zuweisung auch das Instrument der Schuldiensthilfe offeriert, um Darlehen auf einen Zinssatz von Null herunter zu subventionieren. Die Nachfrage nach allen drei Bausteinen dieser Investitionshilfen belegt aus meiner Sicht die Richtigkeit dieser Strategie. Die genannten Zielzahlen für die Ausbau von Ganztagsplätzen haben auch für die Umsetzung dieses Investitionsprogramms eine zentrale Steuerungsfunktion. Bei „Reservierung“ einer Position für die Förderung kleinerer Projekte und einer Position für die Einbeziehung von Schulen in freier Trägerschaft stehen für jeden geschaffenen Ganztagsplatz rd. 2000 € an Investitionshilfen zur Verfügung. Nur das Festhalten an diesen internen Budgetierungsgrößen sichert eine Gleichbehandlung aller Schulträger und ermöglicht die Zusicherung, dass auch für die letzten in das Programm aufgenommenen Projekte noch Investitionshilfen zur Verfügung stehen werden. Im Ergebnis führt dies dazu, dass zum 30. Juli 2007 von den rd. 130 Mio. €, die dem Land Brandenburg aus dem Bundesprogramm zur Verfügung stehen knapp 95 Mio. € durch Bescheide gebunden sind. Durch das hohe Engagement der Kommunen wird damit ein Investitionsvolumen von knapp 170 Mio. € für den Ausbau von Ganztagsangeboten realisiert.
Das Bild wäre nicht vollständig ohne den Hinweis, dass darüber hinaus für weitere rd. 25 Mio. € Zuwendungsvolumen dem MBJS Anträge vorliegen, von denen der größte Teil nach Abschluss der notwendigen Prüfverfahren noch im Lauf des Jahres 2007 bewilligt werden soll.

Blick nach vorn


Wir bewegen uns nunmehr auf das Ende der Programmzeitraums des Bundes zu, an das das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport seine quantitativen Ausbauziele gekoppelt hat. Im nächsten Jahr wird es die letzte Ausbaustufe geben. Dabei können in der Primarstufe noch rd. 3.400 zusätzliche Ganztagplätze an rd. 20 Schulen eingerichtet werden. In der Sekundarstufe I besteht noch ein zusätzliches Potential von rd. 2.000 Ganztagsplätzen an rd. 15 Schulen. Schulen, die in dieser abschließenden fünften Antragsrunde noch an dem Programm partizipieren wollen, müssen bis zum 15. Dezember 2007 ihren Antrag beim zuständigen staatlichen Schulamt einreichen. Die Bescheide werden von diesem dann zum 01. April 2008 ausgereicht. Soweit für Investitionsvorhaben auch die Inanspruchnahme von Investitionshilfen aus dem Bundesprogramm erfolgen soll, müssen die Fördermittel bis Ende 2008 bewilligt und die Vorhaben bis Ende 2009 abgeschlossen sein.

Der außergewöhnliche Erfolg des Ganztagsprogramm stellt uns am Ende der Programmperiode vor das Problem, unter den pädagogisch guten Anträgen auswählen zu müssen. Schon in der diesjährigen Antragsrunde für das Schuljahr 2007/08 konnten nicht alle Anträge von Schulen auf Einrichtung von Ganztagsangeboten genehmigt werden. Im Grundschulbereich haben wir angesichts der stark unterschiedlichen Versorgungsquoten in erster Linie Genehmigungen in den Landkreisen und kreisfreien Städten erteilt, in denen Ganztagsangebote noch nicht für 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler bereitgestellt werden. Das hat bei den Schulen, die nicht berücksichtigt werden konnten, zu großer Enttäuschung geführt. Ich kann das sehr gut nachvollziehen, bitte aber dennoch um Verständnis dafür, dass wir bei der Verteilung der Angebote auf eine einigermaßen regionale Ausgewogenheit achten. In der letzten Antragsrunde werden wir deshalb ähnlich vorgehen: Anträge aus Landkreisen (die kreisfreien Städte sind schon gut versorgt), die bisher nur ein geringes Angebot an Ganztagsplätzen im Grundschulbereich aufweisen, werden bei entsprechender Qualität des pädagogischen Konzeptes vorrangig genehmigt. Je nach Antragslage können danach aber auch noch Schulen mit besonders herausragenden Konzepten aus bereits angemessen versorgten Teilen des Landes zum Zuge kommen.

Auch im Bereich der weiterführenden Schulen werden wir wie in diesem Jahr vorgehen. Es werden vorrangig die Anträge von Oberschulen und Gesamtschulen genehmigt, die sich in zentralen Orten ohne Ganztagsangebote befinden. Darüber hinaus sollen Schulen berücksichtigt werden, die sich in besonderer Weise mit schwierigen Schülerinnen und Schülern befassen.

Die Neuanträge von Gymnasien, von denen mit Genehmigungen der Vorjahre bereits 15 Ganztagsangebote in offener Form unterbreiten, sind in diesem Jahr komplett zurückgestellt worden. Das war zum einen darin begründet, dass auch hier eine annähernde gleichmäßige regionale Verteilung der Angebote angestrebt wird. Zum anderen muss bei der Frage der personellen Ausstattung für die Ganztagsangebote die künftig deutliche Erhöhung der wöchentlichen Unterrichtsstunden an Gymnasien infolge der Schulzeitverkürzung auf zwölf Jahre berücksichtigt werden. Aus diesem Grund werden an Gymnasien auch nur Ganztagsangebote in offener Form genehmigt.

Schlussbemerkung


Mit dem Auslaufen des Bundesprogramms Zukunft Bildung und Betreuung ist das Reformprojekt Entwicklung von Ganztagsangeboten aber nicht abgeschlossen. Die Schulen, die Horte und die Vielzahl der beteiligten Kooperationspartner haben ein breites Spektrum pädagogisch konzeptioneller Vorhaben erarbeitet und in den Alltag umgesetzt. Es wird in den kommenden Jahren darum gehen, diesen erreichten Stand zu stabilisieren und auf der Grundlage begleitender Evaluation weiter zu entwickeln. So entsteht in meinem Verständnis aus der Sicherung von Stabilität und Qualität eine wirkliche Nachhaltigkeit dieses Reformprozesses. Dabei beschreiben die Entwicklungen hin zu Häusern des Lebens und Lernens und zu umfassend gedachten kommunalen Bildungslandschaften die langfristigen Ziele der vor uns liegenden Aufgaben.

Az: 200-02

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