MITTEILUNGEN 06/2004, Seite 170, Nr. 102

Grundsätze elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung in Kindertagesstätten - Teil 2


Mit Rundschreiben vom 2. Juli 2003 hat die Geschäftsstelle die Mitglieder des Städte- und Gemeindebundes darauf aufmerksam gemacht, dass das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport das Vorhaben verfolgt, einen Bildungsrahmen für die Arbeit in Kindertagesstätten zu schaffen. Grundlage sollte das Gutachten von Ludger Pesch vom Dezember 2002 sein „Entwurf eines normativen Rahmens für die Bildungsarbeit in Kindertagesstätten“.

In der Folge sind dann die „Grundsätze elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindestagesbetreuung im Land Brandenburg“ auf Grund von Diskussionen von Vertretern des Ministeriums, landeseigener Einrichtungen und Verbänden von Trägern von Kindertagesstätten entstanden, mit denen nunmehr der Minister an die Öffentlichkeit getreten ist.

Das Gutachten von Herrn Pesch ist Gegenstand der Diskussion im Ausschuss für Bildung, Kultur und Sport und des Präsidiums des Städte- und Gemeindebundes gewesen. Eine Arbeitsfassung der jetzigen Grundsätze ist nochmals im Ausschuss besprochen worden.

Ausschuss und Präsidium haben sich dafür ausgesprochen, die Grundsätze in die Arbeit der Kindertagesstätten, mit Ausnahme des Hortes, einzubeziehen und das Präsidium hat eine entsprechende Empfehlung ausgesprochen. Das Präsidium hat aber gegen den Abschluss einer Vereinbarung nach § 23 Abs. 3 KitaG mit dem Land votiert. Grund hierfür ist die Befürchtung, dass die Kommunen sich mit der Unterzeichnung einer Vereinbarung zur Einhaltung weiterer Normen und Standards verpflichten würden, obwohl es erklärter Wille des Verbandes ist, zu einem Abbau von Normen und Standards zu kommen. Darüber hinaus wären Vertragspartner einer solchen Vereinbarung auch die Vereinigungen der freien Träger von Kindertagesstätten. Soweit diese in ihre Arbeit die Anwendung und Umsetzung der Grundsätze einführen wollen, könnte dies für die Kommunen zu einer Kostensteigerung führen, mit der Folge, dass die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe bzw. die kreisangehörigen Städte und Gemeinden höhere Zuschüsse an die freien Träger entrichten müssen. In der Folge bestünde die Gefahr, dass die Kreisumlage anstiege.

Mit der „Gemeinsamen Erklärung zu Grundsätzen elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung im Land Brandenburg“ drücken die Unterzeichner ihren Willen aus, in ihrem jeweiligen Handlungsrahmen die Zielsetzung der nachfolgenden Bildungsgrundsätze zu unterstützen und ihre Weiterentwicklung zu fördern, und sie empfehlen, dass die Grundsätze elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindestagesbetreuung Anwendung finden. Hierzu konnte und kann sich der Städte- und Gemeindebund Brandenburg nicht vereinbaren. Zum einen hieße dies, bislang habe keine Bildungsarbeit in Kindertagesstätten stattgefunden. Zum anderen würden die Mitglieder des Verbandes Gefahr laufen, höhere Aufwendungen, die mit der Umsetzung der Grundsätze verbunden wären, bezahlen zu müssen. Letztlich gibt es auch inhaltliche Bedenken, die gegen eine vollständige Umsetzung sprechen.

Die Befürchtungen, die den Städte- und Gemeindebund davon abgehalten haben, die Gemeinsame Erklärung mitzuunterzeichnen, haben sich denn auch bereits am Tag der öffentlichen Präsentation der Grundsätze als berechtigt erwiesen. Die Vertreter der Liga der freien Wohlfahrtspflege wiesen unverzüglich darauf hin, dass zur Umsetzung der Grundsätze Fortbildungsmaßnahmen und ggf. Neueinstellungen notwendig seien. Der Minister seinerseits lehnte eine Aufstockung von Landeszuschüssen strikt ab.

Die Gemeinsame Erklärung und die Grundsätze sind unter www.brandenburg.de - Ministerium für Bildung, Jugend und Sport - Jugend - Kindertagesstätten eingestellt.

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Die Grundsätze elementarer Bildung stellen keinen Lehrplan dar. Aus diesem Grunde ist die Bezeichnung Bildungsstandard nicht richtig. Vielmehr handelt es sich um Hinweise, wie im Elementarbereich die Fähigkeiten von Kindern durch die Erzieherinnen in der Kindertagesstätte gefördert und gefordert werden können. Sie beschreiben Möglichkeiten, welche Entwicklungsbereiche bei Kindern auf welche Art und Weise gefördert bzw. herausgefordert und zur weiteren Entwicklung angereizt werden können. Die Grundsätze strukturieren die Bildungsarbeit in Kindertagesstätten. Gleichzeitig könnemit ihnen verhindert werden, dass sich vorhandene Qualitätsansätze in Einrichtungen in sehr unterschiedliche Richtungen entwickeln und es in den Einrichtungen zu einer gewissen Beliebigkeit kommt.

Sie gehen von dem Ansatz aus, dass die Weichen für die Bildungschancen und damit auch für Lebenschancen bereits früh gestellt werden. Die Motivation und die Fähigkeit zu kontinuierlichem und selbstgesteuertem Lernen sollen durch Anwendung der verschiedenen Maßnahmen früh geweckt werden. Kindertagesstätten haben die Möglichkeit, die Prozesse des Heranwachsens und des Kennenlernens der Lebensbedingungen bei den Kindern sinnvoll zu unterstützen.

Die Grundsätze orientieren sich an verschiedenen Kompetenz- bzw. Entwicklungsbereichen von Kindern, die es zu fördern gilt. Hierbei handelt es sich um

  • Körper, Bewegung und Gesundheit,
  • Sprache, Kommunikation und Schriftkultur,
  • Musik,
  • Darstellen und Gestalten,
  • Mathematik und Naturwissenschaft,
  • Soziales Leben.


Zu jedem Themenbereich wird jeweils das Grundverständnis erläutert, sodann werden Ebenen der Umsetzung geschildert und es werden praktische Beispiele benannt. Die Ebenen der Umsetzung enthalten Hinweise, wie Erzieherinnen in der praktischen Arbeit vorgehen könnten. Hierbei handelt es sich zum einen darum, die sechs Entwicklungsbereiche mit in die Konzeption des Kindergartens aufzunehmen. Zum anderen geht es darum, das jeweilige Kind regelmäßig und differenziert bezogen auf den oder die jeweiligen Themenbereiche zu beobachten, die Stärken und Vorlieben des Kindes zu beobachten und sodann zu dokumentieren. Die Erzieherin kann sodann bezogen auf dieses Kind oder auf die Gruppe prüfen, welche weiteren Angebote zur Förderung der Kompetenzen und Fähigkeiten sie unterbreiten möchte. Die Beobachtung und Dokumentation kann gleichfalls dem Gespräch mit den Eltern dienen, denen die Erzieherin ihre Erkenntnis und Einschätzung weitervermitteln kann. Insgesamt gibt es mehr als 22 Fähigkeiten, die durch die Erzieherin regelmäßig und differenziert beobachtet und dokumentiert werden sollen. Wenn eine Erzieherin eine Gruppe von fünf Kindern betreut und zweimal im Jahr jedes Kind auf die Entwicklung seiner Fähigkeiten hin überprüfte und dies dokumentierte, hätte sie 220 Bewertungen vorzunehmen. Weitere Ebenen der Umsetzung beziehen sich auf die Erzieherinnen selbst. Sie können ihr eigenes Selbstverständnis bewusst reflektieren, gemeinsam mit Kolleginnen ihr Wissen aktualisieren und Erfahrungen austauschen.
Für jeden Kompetenzbereich ist die mögliche Material- und Raumausstattung beschrieben. So können Möglichkeiten für Bewegung und Sport geschaffen werden, Bücherecken oder kleine Bibliotheken, Musikzimmer mit verschiedenen Musikinstrumenten, stille Räume, Ateliers, Mal- oder Werkecken mit Malutensilien oder Handwerksgeräten können eingerichtet und Gerätschaften für die Erprobung technischer Fähigkeiten angeschafft werden.

Die Grundsätze können der Arbeit in Kindertagesstätten eine Struktur geben und da sie relativ knapp und anschaulich formuliert sind, können sie für die Arbeit in Kindertagesstätten grundsätzlich eine brauchbare Hilfe darstellen.
Von besonderer Bedeutung wird es für die Kindertageseinrichtungen sein, mit den Eltern die Anwendung der Grundsätze, bestimmter anderer Konzepte oder von Teilen der Grundsätze zu besprechen und ggf. zu vereinbaren. Viele Kindertagesstätten verfügen bereits über eigene Konzepte, Leitlinien oder Grundsätze, an denen sie möglicherweise festhalten wollen und was auch möglich ist. Es gibt Städte und Gemeinden, in denen auf der Grundlage von Diskussionen mit Eltern, Erzieherinnen, Gemeindevertretern und sachkundigen Einwohnern Leitlinien für die Arbeit in Kindertagesstätten entwickelt wurden. Der Städte- und Gemeindebund weist daher darauf hin, dass die Arbeit der Kindertagesstätten nicht an Hand der Grundsätze elementarer Bildung auf ihre Qualität überprüft werden kann. Die Tatsache, dass in einer Kindertagesstätte die Grundsätze elementarer Bildung angewandt werden, stellt kein Qualitäts- oder Gütesiegel dar. Jede Kommune wird sich selbst eigene, spezifische Arbeitsfelder für ihre Kindertagesstätten erschlossen haben, ggf. noch weitere erschließen oder gänzlich neue Überlegungen anstellen. Die Grundsätze können und sollten hier Ansatzpunkt für die Prüfung sein, was und in welchem Umfang man in der Elementarbildung den Kindern vermitteln will.

Bezweifelt wird allerdings durch den Städte- und Gemeindebund, ob sich in der Realität die Grundsätze tatsächlich umsetzen lassen. Diese Zweifel wurden in den Diskussionen im Ausschuss und im Präsidium deutlich. Keinesfalls ist es machbar, jedes Kind regelmäßig und differenziert auf die Entwicklung seiner Vorlieben und Stärken hin zu beobachten, diese Beobachtungen zu dokumentieren und für jedes Kind praktisch eine Akte anzulegen und Buch zu führen. Bereits aus anderen Arbeitsbereichen, wie dem Krankenhauswesen oder der Alten- und Krankenpflege, weiß man, dass die Dokumentationspflichten überhand nehmen. Der neue Aufbau solcher bürokratischer Standards kann durch Städte, Gemeinden und Ämter nicht unterstützt werden. Die Erfüllung der Standards ginge zu Lasten des Arbeitszeitfonds, der nach Auffassung der Kommunen möglichst nur für die Beschäftigung mit den Kindern zur Verfügung stehen sollte. Sinnvoller und wichtiger ist, dass die Fähigkeiten der Kinder tatsächlich und bewusst durch die Erzieherinnen beobachtet und hieraus dann entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden. Ihre durch die Beobachtung gewonnenen Informationen können sie an die Eltern weiterleiten und mit diesen Gedanken zur Förderung der weiteren Entwicklung des Kindes austauschen.

Die in den Grundsätzen vorgeschlagene Ausstattung für Kindertagesstätten mag wünschenswert sein. Wegen der dramatischen Situation der kommunalen Haushalte werden Neuanschaffungen von Ausstattungsgegenständen oder der Neubau von den Grundsätzen entsprechenden Räumlichkeiten weder für kommunale Einrichtungen möglich sein, noch werden die Kommunen diesbezüglich freie Träger von Einrichtungen bezuschussen können. Die Einrichtungen werden also prüfen müssen, wie sie unter Nutzung bisheriger Gegebenheiten die Grundsätze anwenden können.

Die Grundsätze elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung sollen nach ihrem Wortlaut auch in Horten angewandt werden. Der Städte- und Gemeindebund hat sich hiergegen ausgesprochen. Grundschulkinder würden damit verschiedenen Bewertungsskalen unterliegen. Am 15. Juni 2004 will der Minister in Berlin zusammen mit den beiden Stadtstaaten Bremen und Berlin und dem Land Mecklenburg-Vorpommern einen gemeinsam entwickelten Rahmen-/Lehrplan für die Grundschule vorstellen. Bezweifelt wird, dass der Rahmen-/Lehrplan inhaltlich übereinstimmt mit den Grundsätzen elementarer Bildung. Es kann nicht sein, dass Schüler am Nachmittag im Hort nach anderen Kriterien auf ihren „Lernerfolg“ beobachtet werden als in der Grundschule. Der Schule kommt hier ein Vorrang zu und es ist an ihr, die Leistungen der Kinder zu bewerten, die Schüler zu bilden und zu erziehen und das Elterngespräch zu führen. Eine weitere Einschätzung durch die Erzieherinnen kann es daneben nicht geben.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Grundsätze elementarer Bildung in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung ein strukturgebendes Instrument für die Arbeit in Kindertagesstätten darstellen, mit denen die Fähigkeiten von Kindern weiterentwickelt werden können. Ihre Anwendung im Hortbereich wäre fehl am Platze. Den Hinweisen zur Dokumentation der jeweiligen Beobachtung des Verhaltens des Kindes und zur Ausstattung der Einrichtungen kann nicht nachgekommen werden.

Monika Gordes, stellvertretende Geschäftsführerin