Mitteilungen 07/2017, Seite 300, Nr. 121

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juni 2017 zum Zensus 2011

Das Bundesverfassungsgericht hat durch einstweilige Anordnung vom 26. August 2015 § 19 des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 (BGBl I S. 1781) bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, außer Vollzug gesetzt.

Mit Beschlüssen vom 15. Februar 2016, 20. Juli 2016 und 22. Dezember 2016 wurde die einstweilige Anordnung vom 26. August 2015 jeweils für die Dauer von weiteren sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung in der Hauptsache, wiederholt (§ 32 Abs. 6 Satz 2 BVerfGG).

Mit Beschluss vom 13. Juni 2017 – 2 BvF 1/15 – hat das Bundesverfassungsgericht die einstweilige Anordnung vom 26. August 2015 erneut für die Dauer von weiteren sechs Monaten, längstens jedoch bis zur Entscheidung in der Hauptsache, wiederholt (§ 32 Abs. 6 Satz 2 BVerfGG).

Damit hat das Bundesverfassungsgericht die Löschungsverpflichtung nach § 19 des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 (BGBl I S. 1781) bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens für die Dauer von sechs Monaten, außer Vollzug gesetzt.

Das Bundesverfassungsgericht kann eine einstweilige Anordnung dann wiederholen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für den erstmaligen Erlass einer solchen Anordnung noch gegeben sind (vgl. BVerfGE 21, 50 <50>; 89, 113 <115 f.>; 97, 102 <102>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 9. Juni 2004 - 2 BvQ 70/03). Dies ist vorliegend der Fall.
Das Normenkontrollverfahren ist nach wie vor anhängig. Mit einer Entscheidung in der Hauptsache ist trotz derzeit laufender Vorbereitung bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu rechnen. Die gesetzlichen Voraussetzungen für den erstmaligen Erlass einer einstweiligen Anordnung sind unverändert gegeben, deswegen ist eine weitere Wiederholung der einstweiligen Anordnung vom 26. August 2015 (§ 32 Abs. 6 Satz 2 BVerfGG) spätestens zum 22. Juni 2017 angezeigt.

In der Einstweilige Anordnung vom 26. August 2015 – 2 BvF 1/15 –, BVerfGE 140, 99-114, begründete das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss wie folgt:

  • Der Antrag, § 19 ZensG 2011 für nichtig zu erklären, ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
  • Im Rahmen der gebotenen Folgenabwägung überwiegen die für eine vorläufige Außervollzugsetzung des § 19 ZensG 2011 sprechenden Erwägungen. Diese Gründe haben auch das besondere Gewicht, das für die vorläufige Außervollzugsetzung eines Gesetzes erforderlich ist.
  • Würden die im Rahmen des Zensus 2011 erhobenen Hilfsmerkmale und Erhebungsunterlagen gemäß § 19 ZensG 2011 unverzüglich gelöscht, so wäre es den Gemeinden, deren Rechtsschutzverfahren noch nicht abgeschlossen ist, praktisch unmöglich, die Rechtmäßigkeit der festgestellten Einwohnerzahl überprüfen zu lassen. Es besteht keine Veranlassung, an der entsprechenden fachgerichtlichen Einschätzung der Relevanz der betroffenen Daten zu zweifeln.
  • Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gemeinden bzgl. der Feststellung ihrer Einwohnerzahl durch den Zensus 2011 aus Art 28 Abs. 2 S 1 GG ein Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz herleiten können. Mit Blick auf ihre Finanzhoheit können die Gemeinden möglicherweise Ansprüche hinsichtlich der transparenten und gleichheitsgerechten Feststellung der Grundlagen für die finanziellen Zuweisungen durch die Länder bzw für den Finanzausgleich geltend machen.
  • Sollte sich § 19 ZensG 2011 als verfassungswidrig erweisen und wäre auch die Rechtsgrundlage für die Datenerhebung und -speicherung verfassungswidrig, so würde erneut in das Grundrecht der von der Datenerhebung und -speicherung Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen, wenn der Vollzug des § 19 ZensG 2011 einstweilen ausgesetzt werden würde.
  • Der Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, der mit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes für die von der Feststellung der Einwohnerzahl betroffenen Gemeinden verbunden wäre, wiegt nicht besonders schwer, da die gesetzlich vorgesehene Speicherung nur für einen begrenzten Zeitraum fortdauern würde und das ZensG 2011 weitere Regelungen zum Schutz der erhobenen Daten vorsieht.
  • Demgegenüber wäre die Auswirkung der Rechtsschutzvereitelung für die betroffenen Gemeinden mit Blick auf die zeitliche Relevanz der festgestellten Daten und der in Rede stehenden Zahlungsbeträge von besonderem Gewicht.
  • Eine Außervollzugsetzung des § 19 ZensG 2011 würde zudem nicht erheblich in die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers eingreifen.
  • Schließlich stellt die Außervollzugsetzung des § 19 ZensG 2011 auch keinen erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Auskunftspersonen dar. Das Bundesverfassungsgericht hat sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es nur eine relativ geringe Betroffenheit des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger zu erkennen vermochte, wohingegen dem Grundrecht der klagenden Körperschaft auf effektiven Rechtsschutz erheblich höheres Gewicht und klarer Vorrang eingeräumt wurde.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache wird mit Spannung erwartet, zumal die Vorbereitungen zur Durchführung des nächsten Zensus im Jahr 2021 bereits angelaufen sind und die Löschungsvorschrift trotz zahlreicher Interventionen der kommunalen Spitzenverbände auf Bundes- und Landesebene wiederholt nicht auf die Bestandskraft der Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl abstellt.

Mit dem Inkrafttreten des Zensusvorbereitungsgesetzes 2021 (ZensVorbG?2021) zum 10. März 2017, BGBl. I Nr. 11 S. 388 vom 9. März 2017, liegt die erste nationale Rechtsgrundlage für den kommenden Zensus im Jahr 2021 vor. Die Löschung des Anschriftenbestandes sechs Jahre nach dem Zensusstichtag ist in § 16 ZensVorbG 2021 geregelt. Danach muss der Anschriftenbestand sechs Jahre nach dem Zensusstichtag gelöscht werden. Alle anderen Datenbestände der Auskunftspflichtigen seien zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach Abschluss der Erhebungen, spätestens jedoch vier Jahre nach dem Zensusstichtag, zu löschen.

Die gesetzlich angeordnete Datenlöschung vor bestandskräftiger Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl ist nicht hinnehmbar, da die Methodik des Zensus 2021 (wie auch beim Zensus 2011) nicht überprüft werden kann. § 16 Zensusvorbereitungsgesetz 2021 - sowie auch § 19 Zensusgesetz 2011 -  stellen nicht auf die bestandskräftige Feststellung der amtlichen Bevölkerungszahl ab, sondern lediglich auf den Abschluss der Aufbereitung des Zensus. Die Gesetzesbegründung zu § 16 ZensVorbG 2021 (wie auch § 19 Absatz 2 Zensusgesetz 2011) schreibt die Vernichtung der Daten nach Abschluss des Zensus vor. Auf die Rechtskraft der amtlichen Einwohnerzahl wird auch in der Gesetzesbegründung nicht abgestellt.

Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hält es vor diesem Hintergrund für sehr problematisch, dass keine Kommune die zensusbedingt für sie getroffenen Feststellungen nachvollziehen kann, weil ihr keine Daten zur Verfügung gestellt wurden. Die in diesem Zusammenhang gesetzlich angeordnete Datenlöschung hat vielfach die Besorgnis hervorgerufen, damit könne die Überprüfung der Methodik des Zensus 2011 verhindert werden.

Der Zensus ist ein Projekt der amtlichen Statistik des Bundes und der Länder zur Erhebung von   Bevölkerungs-, Gebäude- und Wohnungsdaten, der seit 2011 alle zehn Jahre in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchgeführt werden soll.

Silke Kühlewind, Referatsleiterin

Az: 065-01

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