Mitteilungen 01-02/2013, Seite 49, Nr. 28

VG Minden: Zur Inklusiven Beschulung und zur Leistungsheterogenität an einer Gesamtschule

Verwaltungsgericht Minden, Urteil der 8. Kammer vom 7. Dezember 2012 - 8 K 1792/12, nicht rechtskräftig

Zum Sachverhalt:
Die Klägerin ist Schulträgerin der N. -O. -Gesamtschule in C1. -T. Diese wird achtzügig geführt. In der Vergangenheit wurde dort bereits eine Integrative Lerngruppe für die Sekundarstufe I eingerichtet. Mit Verfügung vom 15. September 2011 wies die Bezirksregierung E. die Klägerin darauf hin, dass sich zum Schuljahr 2012/2013 vermutlich der Bedarf für die Einrichtung von insgesamt bis zu drei weiteren Integrativen Lerngruppen ergeben werde. Grundsätzlich sei die Einrichtung solcher Gruppen an bestandssicheren Schulen aller Schulformen möglich, sofern dort ausreichend große Unterrichtsräumlichkeiten zur Verfügung stünden. Daraufhin teilte die Klägerin der Bezirksregierung unter dem 28. November 2011 mit, dass sich durch Einrichtung einer Integrativen Lerngruppe an der C2. Realschule die Kapazität auf insgesamt 36 Plätze erhöhen werde, was als ausreichend angesehen werde. Im Rahmen der Planung einer Sekundarschule werde darüber hinaus überlegt, an der N. -O. -Gesamtschule eine zweite Integrative Lerngruppe einzurichten. In der Beschlussvorlage für eine Dringlichkeitssitzung des Schul- und Sportausschusses vom 23. Februar 2012 führte das Amt für Schule der Beklagten sodann aus, dass 16 Anmeldungen behinderter Kinder aus dem Haupteinzugsbereich an der N. -O. -Gesamtschule vorlägen. Bei insgesamt 252 Anmeldungen müssten etwa 26 Anträge abgelehnt werden. Allerdings sei der Anmeldeüberhang niedriger als in Vorjahren, der 2011 53, 2010 56, 2009 51, 2008 65 und 2007 73 betrug.

Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention solle dem Elternwunsch behinderter Kinder der Vorrang eingeräumt werden, zumal die wenigen anderen Integrativen Lerngruppen ebenfalls stark nachgefragt seien. Wegen der beengten räumlichen Verhältnisse an der Schule sei dies jedoch nur möglich, wenn die Zügigkeit dergestalt reduziert werde, dass anstelle von bisher acht nur noch sieben Eingangsklassen gebildet werden. Die damit verbundene höhere Zahl von abzulehnenden Anmeldungen um etwa 20 sei gerechtfertigt, weil eine rein quantitative Betrachtung nicht dem Erfordernis der Leistungsheterogenität an Gesamtschulen entspreche:

"Die Gruppe der Schülerinnen und Schüler an der MNS mit der Übergangsempfehlung "Hauptschule" ist zu groß, die Gruppe mit der Übergangsempfehlung "Gymnasium" ist zu gering. Da die MNS keinen direkten Einfluss auf zusätzliche Anmeldungen bzw. die Quote von Schülerinnen und Schülern mit Gymnasialbefähigung hat, bleibt als Steuerungsinstrument nur die Einflussnahme auf die Anmeldezahlen bzw. die die Aufnahme von Schülerinnen und Schülern mit Hauptschulempfehlung im Rahmen einer insgesamt geringeren Aufnahmekapazität. Die im Zusammenhang mit der Einrichtung einer zweiten integrativen Lerngruppe zu reduzierende Aufnahmekapazität kann somit zu einer besseren Leistungsheterogenität der Schülerschaft der MNS führen. Dies ist bei der Bedürfnisprüfung bzw. -abwägung ebenfalls zu berücksichtigen und rechtfertigt den Vorrang für die Einrichtung der zweiten integrativen Lerngruppe unter Inkaufnahme geringfügig höherer Anmeldeablehnungen anderer Schülerinnen und Schüler." (vgl. Beiakte Heft II, Bl. 33)

Deshalb fasste der Schul- und Sportausschuss der Klägerin am 29. Februar 2012 den Beschluss, die allgemeine Aufnahmekapazität der N. -O. -Gesamtschule von acht auf sieben Parallelklassen zu reduzieren und die Verwaltung zu beauftragen, hierfür die Genehmigung der Beklagten einzuholen. Mit Schreiben vom 01. März 2012 beantragte die Klägerin dann bei der Beklagten die Genehmigung der Reduzierung der Zügigkeit und die Einrichtung einer zweiten Integrativen Lerngruppe an der N. -O. -Gesamtschule zum Schuljahr 2012/13.

Mit Bescheid vom 04. April 2012 genehmigte die Beklagte die Einrichtung einer weiteren Integrativen Lerngruppe, jedoch lediglich einmalig aufwachsend ab dem 01. August 2012, um keine gravierende Verschärfung der Raumknappheit herbeizuführen. Ebenfalls mit Bescheid vom 04.04.2012 lehnte die Beklagte die Genehmigung des Antrags der Klägerin auf Reduzierung der Zügigkeit der N. -O. -Gesamtschule von acht auf sieben Züge zum Schuljahr 2012/13 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Genehmigung sei zu versagen, weil der Beschluss zur Reduzierung § 78 des Schulgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (SchulG) widerspreche. Hiernach seien die Schulträger der öffentlichen Schulen verpflichtet, Schulen fortzuführen, wenn in ihrem Gebiet ein Bedürfnis dafür bestehe, wenn also die Schule im Rahmen der Schulentwicklungsplan erforderlich sei, damit das Bildungsangebot der Schulform in zumutbarer Entfernung wahrgenommen werden könne. Ein Bedürfnis zur Fortführung der vollen Zügigkeit an der N. -O. -Gesamtschule sei jedoch offensichtlich, da seit vielen Jahren an den C3. Gesamtschulen erhebliche Anmeldeüberhänge bestehen würden. Durch eine Reduzierung der Zügigkeit würden die Zahl der Ablehnungen und damit das Bedürfnis für ein weiteres Gesamtschulangebot nur weiter erhöht. Eine Reduzierung der Zügigkeit könne gegebenenfalls bei Errichtung von Sekundarschulen für das nächste Jahr in Aussicht gestellt werden. Dennoch wurden von der Schulleitung in einem vorgezogenen Aufnahmeverfahren an der Schule nur für sieben Klassen Aufnahmeentscheidungen getroffen; darüber hinausgehende Aufnahmeanträge wurden abgelehnt.

Am 16. Mai 2012 hat die Klägerin gegen den ihr am 16. April 2012 zugestellten Bescheid Klage erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, in der Vergangenheit sei die Zahl der C3. Primarschulen, die Gemeinsamen Unterricht für behinderte und nicht behinderte Kinder bzw. für Kinder mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf anbieten, von vier auf derzeit 12 Schulen erhöht worden. Die Fortsetzung dieser Unterrichtsform in der Sekundarstufe I in sog. Integrativen Lerngruppen erfordere eine entsprechende Ausgestaltung an allgemeinen Schulen der Sekundarstufe I. Bislang finde dieser Unterricht an sechs C3. Schulen statt. Weitere Schulen müssten jedoch folgen, um den Kindern mit Behinderungen bzw. sonderpädagogischem Förderbedarf eine Anschlussperspektive nach der Grundschulzeit an allgemeinen Schulen der Sekundarstufe I zu bieten. Hiermit werde dem bereits im März 2009 von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) Rechnung getragen, in dessen Art. 24 das Ziel eines inklusiven Bildungssystems auf allen Ebenen formuliert werde. Bislang seien die Regelungen dieser Konvention in Nordrhein-Westfalen noch nicht in ein Gesetz umgesetzt worden. Allerdings sei in Erlassen und Besprechungen von Seiten des Schulministeriums immer wieder befürwortet worden, schon jetzt dem Wunsch der Eltern von Kindern mit Behinderungen nachzukommen, die eine allgemeine Schule und keine Förderschule als Unterrichtsort wünschen. Als notwendige sächliche Voraussetzung sei jedoch für eine Integrative Lerngruppe ein ausreichend großer Unterrichtsraum für einen teamarbeitsorientierten Unterricht aller Schülerinnen und Schüler einer Klasse sowie die Verfügbarkeit eines möglichst danebenliegenden Differenzierungsraums erforderlich. An der N. -O. -Gesamtschule könnten diese sächlichen Voraussetzungen jedoch nur bei Reduzierung der Zügigkeit geschaffen werden. Die Schule habe in der Vergangenheit stets mehr Anmeldungen für die Sekundarstufe I gehabt, als tatsächlich Schüler hätten aufgenommen werden können. Der Anmeldeüberhang weise in den letzten Jahren jedoch eine rückläufige Tendenz auf. Zudem könne die Schule aus den jeweiligen Anmeldungen nur unzureichend die gewünschte Leistungsheterogenität der Schülerinnen und Schüler sicherstellen. Der angestrebte Drittelmix von Schülerinnen und Schülern mit den Empfehlungen zur Hauptschule, Realschule oder zum Gymnasium könne wegen eines Überhangs der Schüler mit reiner Hauptschulempfehlung nicht erreicht werden. Bei der Reduzierung der Zügigkeit von acht auf sieben Eingangsklassen zeige sich zwar ein Interessenkonflikt dahingehend, dass einerseits verstärkt Schüler abgewiesen werden müssten, die die Aufnahme an der Gesamtschule wünschen, andererseits aber dem Elternwunsch von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder Behinderungen durch Einrichtung einer zweiten Integrativen Lerngruppe Rechnung getragen werden könnte. Bei der Abwägung der jeweiligen Interessen sei jedoch angesichts des hohen Stellenwerts der UN-Behindertenrechtskonvention und dem besonderen Interesse an integrativen Beschulungsmöglichkeiten der Vorrang vor dem Interesse der Beibehaltung der Achtzügigkeit einzuräumen. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die Zahl der abzulehnenden Anmeldungen im Fall der Zügigkeitsreduzierung nicht über das Niveau der Jahre 2010 und 2009 steige und immer noch deutlich unter der Zahl der früheren Jahre bleibe. Zudem hätten die Ablehnungen der Schüler zur Folge, dass sie sich verstärkt den C3. Hauptschulen zuwenden würden, bei denen dann Eingangsklassen mit den erforderlichen Schülerzahlen gebildet werden könnten. Damit werde gleichzeitig dem Erlass des Ministeriums für Schul- und Weiterbildung vom 14.01.2011 gefolgt, der Bindungswirkung für die Schulträger und die oberen Schulaufsichtsbehörden entfalte und die Schulträger verpflichte, im Rahmen der bestehenden Regelungen alle Möglichkeiten auszuschöpfen, dem Elternwunsch auf integrative Beschulung so weit wie möglich Rechnung zu tragen. Dementsprechend sei die Bedürfnisprüfung nach § 78 Abs. 4 SchulG auch dahingehend vorzunehmen, dass hierbei auch das Ziel eines diskriminierungsfreien Zugangs für sonderpädagogisch förderbedürftige Schülerinnen und Schüler zum Regelschulsystem in zumutbarer Entfernung zum Wohnort angemessen zu berücksichtigen sei. Die Bedürfnisprüfung könne nicht ausschließlich auf das Kriterium der zumutbaren Wahrnehmbarkeit des Schulformangebots für nicht förderungsbedürftige Schülerinnen und Schüler beschränkt werden. Bei der erforderlichen Berücksichtigung der UN-Behindertenrechtskonvention sei § 78 Abs. 4 SchulG vielmehr dahingehend auszulegen, dass auch behinderten bzw. förderbedürftigen Schülerinnen und Schülern der Zugang zu allgemeinen Schulen zu gewährleisten sei. Deshalb dürfe die Genehmigung der beantragten Reduzierung der Zügigkeit nicht mit einem grundsätzlich vorrangigen Bedürfnis an der Ausschöpfung der maximalen Aufnahmekapazität der Schule für nicht förderungsbedürftige Schülerinnen und Schüler abgelehnt werden.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Bezirksregierung E. vom 04. April 2012 (Az.: 48.2-6004) zu verpflichten, die Reduzierung der Klassenzügigkeit der N. -O. -Gesamtschule der Stadt C1. von acht auf sieben Züge gemäß dem Beschluss des Schulträgers vom 29. Februar 2012 zu genehmigen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hält den Beschluss des Schul- und Sportausschusses des Rates der Klägerin zur Reduzierung der Zügigkeit für nicht genehmigungsfähig, weil er den Vorschriften des § 78 SchulG widerspreche. Er weist darauf hin, dass allein an der N. -O. -Gesamtschule in den vergangenen Jahren eine große Anzahl von Schülern abgewiesen worden sei. So hätten noch im Jahre 2011 54 Schüler nicht aufgenommen werden können. Von allein Gesamtschulen in C1. seien im Jahr 2011 109 Schüler abgewiesen worden. Auch im diesjährigen Aufnahmeverfahren sei es an der N. -O. -Gesamtschule noch zu einem Überhang gekommen, weil 53 Schüler hätten abgelehnt werden müssen. Angesichts dieses Überhangs sei die Klägerin als Schulträger verpflichtet, die vorhandenen Gesamtschulen fortzuführen, um das Bedürfnis in der Bevölkerung zu decken und die Lücken nicht noch zu vergrößern. Dieser Verpflichtung würde eine Reduzierung der Zügigkeit der N. -O. -Gesamtschule entgegenstehen, so dass der diesbezügliche Beschluss gegen § 78 Abs. 4 Satz 2 SchulG verstoße. Es bestehe deshalb kein Anspruch auf eine schulaufsichtliche Genehmigung dieses Beschlusses. Dem stünden die Regelungen der UN-Behindertenrechtskonvention nicht entgegen, weil diese nicht unmittelbar anwendbares Recht seien, was bereits von verschiedenen Oberverwaltungsgerichten entschieden sei. Ein unmittelbarer Anspruch auf Aufnahme in eine allgemeine öffentliche Schule sei aus der Konvention nicht ableitbar. Der Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 14. Januar 2011 könne lediglich eine Auslegungshilfe für § 78 SchulG sein, er habe jedoch keinen Vorrang vor der gesetzlichen Regelung. Außerdem sei ihm dadurch Rechnung getragen worden, dass bereits eine erste Integrative Lerngruppe an der N. -O. -Gesamtschule eingerichtet worden sei. Insoweit bestehe keine Benachteiligung im Vergleich zu Regelschülern. Schließlich könnten Integrative Lerngruppen auch an Realschulen und Gymnasien eingerichtet werden. Ein Anspruch auf den Besuch einer bestimmten Schule einer bestimmten Schulform bestehe insoweit nicht. Die Reduzierung der Zügigkeit, verbunden mit verstärkter Abweisung von Schülerinnen und Schülern, in der Regel mit Hauptschulempfehlung, sei auch nicht zur Verbesserung der notwendigen Leistungsheterogenität erforderlich. Denn weder gesetzlich noch in einer Rechtsverordnung sei geregelt, wie ein ausgewogenes Verhältnis der Gruppe hinsichtlich der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit der einzelnen Schüler zu bilden sei. § 78 Abs. 4 SchulG erfordere keine Leistungsheterogenität. Vielmehr richte sich das Erfordernis zur Errichtung und Fortführung von Gesamtschulen nach dem Bedürfnis, für das der Elternwille maßgeblich ist. Hierdurch konkretisiere sich das verfassungsrechtlich geschützte Recht der Eltern auf Verfügbarkeit von Schulen der gewünschten Form in zumutbarer Entfernung. Ein Mindestanteil an Schülern mit einer bestimmten Schulformempfehlung sei dabei nicht gefordert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Aus den Gründen:
Mit dem Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden.

Die zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid der Bezirksregierung E. ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin schon deshalb nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Sie hat keinen Anspruch auf Genehmigung der Reduzierung der Klassenzügigkeit an der N. -O. -Gesamtschule von acht auf sieben Züge gemäß dem Beschluss des Schulträgers vom 29. Februar 2012.

Nach § 81 Abs. 3 SchulG bedarf der Beschluss zur Änderung einer Schule im Sinne des § 81 Abs. 2 SchulG der Genehmigung durch die obere Schulaufsichtsbehörde. Die beabsichtigte Reduzierung der Klassenzügigkeit von acht auf sieben Eingangsklassen stellt einen schulorganisatorischen Beschluss zur Änderung der Schule in diesem Sinne dar. Denn hiermit soll nicht nur eine vorübergehende Verringerung der Aufnahmekapazität an der Schule unter grundsätzlicher Beibehaltung der beschlossenen und genehmigten Zügigkeit bewirkt werden, die noch nicht von § 81 Abs. 2 SchulG erfasst würde, vgl. hierzu VG Minden, Beschluss vom 03.04.2006 - 2 L 144/06 -, juris, sondern vielmehr eine dauerhafte Änderung der Zügigkeit. Dies stellt eine beachtliche Änderung der Schule dar, die deshalb dem Genehmigungserfordernis unterliegt.

Zu Recht hat die Bezirksregierung E. gemäß § 81 Abs. 3 Satz 2 SchulG die beantragte Genehmigung versagt, weil der Beschluss der Vorschrift des § 78 Abs. 4 SchulG widerspricht. Danach sind die Schulträger verpflichtet, Schulen fortzuführen, wenn in ihrem Gebiet ein Bedürfnis dafür besteht und die Mindestgröße gewährleistet ist. Ein Bedürfnis besteht, wenn die Schule im Rahmen der Schulentwicklungsplanung erforderlich ist, damit das Bildungsangebot der Schulform in zumutbarer Entfernung wahrgenommen werden kann. Dies ist hier der Fall. An der Erforderlichkeit weiterer Gesamtschulplätze können angesichts der seit Jahren bestehenden erheblichen Anmeldeüberhänge keine ernsthaften Zweifel bestehen. Umso weniger kann eine Reduzierung der bisher schon nicht ausreichenden Kapazitäten nach geltender Gesetzeslage hingenommen werden. Dies hat die Bezirksregierung in ihrem Bescheid zutreffend ausgeführt, so dass die Kammer zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die Begründung des Bescheides Bezug nimmt.

Im Hinblick auf die Klagebegründung ist ergänzend auszuführen, dass die Kammer die Rechtsauffassung des beklagten Landes teilt, wonach die Bedürfnisprüfung des § 78 Abs. 4 SchulG allein auf die Schulform abstellt. Solange die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen noch nicht in ein Landesgesetz transformiert worden sind, gelten die bisherigen Regelungen über den sonderpädagogischen Förderbedarf und die Förderorte fort. Die Konvention ist kein unmittelbar anwendbares Recht und gewährt derzeit auch keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufnahme in eine allgemeine öffentliche Schule, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 18. Januar 2010 - 6 C. 52.09 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 03. November 2010 - 19 E 533/10 -.

Dies ist nicht nur aus Respekt vor der Gesetzgebungsgewalt des Landtags in einem gewaltenteilenden Staat geboten, sondern auch deshalb sachgerecht, weil eine Vielzahl grundsätzlicher Entscheidungen im Gesetzgebungsverfahren zu treffen sind, denen die Exekutive und die Gerichte nicht vorgreifen können. Die Kammer geht davon aus, dass die notwendige Umsetzung in nationales Recht aktiv vorbereitet wird (vgl. Referentenentwurf für ein Erstes Gesetz zur Umsetzung der VN-Behindertenrechtskonvention in den Schulen - 9. Schulrechtsänderungsgesetz -). Es besteht daher keine Notwendigkeit, etwa wegen mangelnden Umsetzungswillens an die Stelle des Gesetzgebers treten zu müssen. Auch der von der Klägerin zitierte Erlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 14. Januar 2011 kann mit seiner Verpflichtung, dem Elternwunsch auf integrative Beschulung so weit wie möglich Rechnung zu tragen, keinen Vorrang gegenüber der gesetzlichen Regelung des § 78 Abs. 4 SchulG beanspruchen. Zu Recht stellt er deshalb auch darauf ab, dass die Schulträger im Rahmen der bestehenden Regelungen alle Möglichkeiten zur integrativen Beschulung ausschöpfen sollen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass eine integrative Beschulung für den Schulträger dort ausscheidet, wo die gesetzlichen Regelungen dies gerade nicht ermöglichen. Wenn also in § 78 Abs. 4 SchulG die Fortführung einer Schule in ihrer bisherigen Größe vorgeschrieben wird, weil nach wie vor ein Bedürfnis dafür vorhanden ist, begrenzt dies zugleich die Möglichkeit des Schulträgers, unter Außerachtlassung dieses gesetzlich normierten Bedürfnisses Integrative Lerngruppen einzusetzen. Eine integrative Beschulung ist deshalb nach der derzeitigen Rechtslage nur an den Schulen möglich, an denen kein Bedürfnis mehr für eine Fortführung der Schule in der bisherigen Größenordnung besteht, so dass zusätzliche Kapazitäten zur Integrativen Beschulung frei werden oder an denen bei fortbestehendem gleichbleibenden Bedürfnis zusätzliche personelle und sächliche Kapazitäten geschaffen werden können, um dem Elternwunsch auf integrative Beschulung behinderter Kinder bzw. von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf Rechnung zu tragen. Wenn diese Voraussetzungen an der N. -O. -Gesamtschule nicht erfüllt werden können, scheidet sie für die vorgesehene Ausweitung der integrativen Beschulung durch Einrichtung einer zweiten Integrativen Lerngruppe in der Sekundarstufe I aus. Diese müssen dann an anderen Gesamtschulen errichtet werden, sofern dort Kapazitäten vorhanden sind bzw. an Realschulen oder Gymnasien.

Selbst wenn man die Grundannahme der Klägerin teilen würde, sie habe sich ausgehend von einer völkerrechtlich legitimierten Gesetzesauslegung notwendigerweise zwischen gleichwertigen schützenswerten Interessen der Eltern behinderter Kinder an der Aufnahme in die N. -O. -Gesamtschule einerseits und dem Aufnahmewunsch anderer Eltern entscheiden und vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention eine Abwägung vornehmen müssen, führt dies nicht zu einem Genehmigungsanspruch. Die Sichtweise der Klägerin verkennt die verfassungsrechtlich (vgl. Art. 6 Abs. 2 GG, Art. 8 Abs. 1 Landesverfassung NRW) vorgegebene Bedeutung des Elternwillens bei der Wahl der Schulform. (Ständige Rechtsprechung; vgl. etwa OVG NRW, Urteil vom 09. November 1984 - 5 A 2167/82 -)

Wenn der Staat mehrere Schulformen - also Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen und nunmehr auch Sekundarschulen - vorhält, können Eltern sich für eine dieser Schulformen entscheiden, sofern nicht der Gesetzgeber an die Aufnahme weitere besondere Voraussetzungen knüpft. Vor allem aber trifft jeden Schulträger die Verpflichtung, diejenigen Schulformen anzubieten, die von den Eltern gewünscht werden. Sobald die notwendigen Mindestschülerzahlen erreicht werden, muss der Schulträger mithin eine Schule der gewünschten Schulform in zumutbarer Nähe zur Verfügung stellen. Dier hervorgehobene Bedeutung der freien Schulformwahl wird auch dadurch erkennbar, dass Schülerinnen und Schülern, die in ihrer Gemeinde eine Schule der gewünschten Schulform nicht besuchen können, die Aufnahme in einer anderen Gemeinde nicht deshalb verwehrt werden, weil die Eltern dort nicht leben (vgl. § 46 Abs. 5 SchulG). Diesen gesetzlich verankerten Elternrechten auf Besuch einer bestimmten Schulform kann die "Inklusion" nicht mit Erfolg entgegengehalten werden. Selbst wenn aus der UN-Behindertenrechtskonvention schon vor landesgesetzlichen Umsetzungsakten ein Anspruch auf Beschulung in einer allgemeinbildenden Schule der Sekundarstufe I bzw. auf Zugang zum Regelschulsystem folgen würde, wäre ein solcher Anspruch nicht gleichzusetzen mit dem Anspruch auf eine bestimmte Schulform innerhalb der Sekundarstufe I. Zwar richtet sich der Inklusionsauftrag grundsätzlich an alle Schulformen. Im Vordergrund steht aber derzeit auch bei einer weitgehenden Öffnung die Teilhabe an dem Regelschulsystem als solches. Dem kann aber auch durch andere Schulformen nach Beendigung der Grundschulzeit entsprochen werden. Es ist kein aktuell zwingender Grundsatz des Inklusionskonzepts, nur bestimmte Schulformen der Sekundarstufe I in den Blick zu nehmen. Deshalb richten sich die gegenwärtigen Bestrebungen darauf, "mindestens eine geeignete allgemeine Schule in zumutbarer Entfernung als Lernort" anzubieten, vgl. Fraktionsantrag "Zusammen lernen - zusammenwachsen. Eckpunkte für den Weg zur inklusiven Schule in NRW" vom 26. Juni 2012, LT-Drucksache 16/118.

Deshalb wären nicht nur Gesamtschulen in der Lage, durch Bildung von Integrativen Lerngruppen dem Elternwillen nach Unterrichtung in einer allgemeinen Schule als Förderort anstelle einer Förderschule zu entsprechen. Während also bei Verringerung der Zügigkeit der Elternwille von Regelschulkindern zum Besuch der Gesamtschule als Schulform mangels Kapazität auf der einen Seite gänzlich unberücksichtigt bliebe, könnte dem Elternwillen behinderter Kinder immerhin durch eine Integrative Lerngruppe an einer anderen Schule der Sekundarstufe I Rechnung getragen werden. Im Ergebnis könnte auch ausgehend vom Rechtsstandpunkt der Klägerin nur ein Anspruch auf eine Integrative Lerngruppe im Rahmen der Sekundarstufe I im Gemeindegebiet bestehen, nicht aber auf Einrichtung einer solchen Gruppe in einer bestimmten Schule und auch nicht an einer Schule einer bestimmten Schulform. Es ist ferner auch nicht erkennbar, dass für die Klägerin als kreisfreie Großstadt allein die N. -O. -Gesamtschule für die Einrichtung einer weiteren Integrativen Lerngruppe zur Verfügung gestanden hat, zumal diese Schule offensichtlich von der Raumsituation her betrachtet "aus allen Nähten platzt".

Abgesehen davon ist der Beschluss von der rechtswidrigen Erwägung getragen, die Verringerung der Aufnahmekapazität sei ein zulässiges Mittel, die Leistungsheterogenität an der N. -O. -Gesamtschule zu verbessern. Die von allen Beteiligten für erforderlich gehaltene Ausweitung der Plätze in Integrativen Lerngruppen für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf ist aber Instrument, um auf diesem Weg weniger Kinder mit einer Hauptschulempfehlung in eine Gesamtschule aufnehmen zu müssen. Die Annahme der Klägerin, durch die Reduzierung der Zügigkeit könne der Anteil der Kinder mit einer Hauptschulempfehlung gesenkt und damit eine günstigere Verteilung im Hinblick auf eine leistungsheterogene Schülerschaft erreicht werden, steht im offenkundigen Widerspruch zum geltenden Recht. Der Elternwille für Kinder mit einer Hauptschulempfehlung ist nämlich nicht weniger bedeutend als der Elternwille bezüglich anderer Kinder. So ist für die Feststellung eines Bedürfnisses nach Errichtung einer Gesamtschule geklärt, dass die leistungsmäßige Zusammensetzung der Schülerschaft kein zulässiges Merkmal für eine Steuerung der Schülerströme seitens der staatlichen Schulaufsicht ist, vgl. VG Köln, Beschluss vom 26. Februar 2009 - 10 L 142/09 -.

Ebenso ist es dem kommunalen Schulträger verwehrt, durch Verringerung der Aufnahmekapazität Einfluss auf die Zusammensetzung der Schülerschaft zu nehmen. Die pädagogisch gewollte leistungsorientierte Durchmischung der Schülerschaft kann nach geltendem Recht nur dann ein zulässiges Kriterium sein, wenn die Schulleitung wegen eines Anmeldeüberhangs die nicht ausreichenden Plätze verteilen muss und dann im Rahmen einer unvermeidbaren Auswahlentscheidung auch den Aspekt der gleichmäßigen Verteilung von Schulformempfehlungen berücksichtigen darf. Dazu kommt es aber erst, wenn ein Kapazitätsengpass entstanden ist. Die bewusste Herbeischaffung oder Verschärfung eines Kapazitätsengpasses zur Ermöglichung der als Notbehelf gedachten Auswahlentscheidung ist aber offensichtlich rechtsmissbräuchlich. Das Vorenthalten von Gesamtschulplätzen ist auch kein rechtlich zulässiges Instrument, von Schließung bedrohte Hauptschulen zu "retten", vgl. zur rechtswidrigen Beschränkung der Aufnahmekapazität Beschluss des erkennenden Gerichts vom 03. April 2006 - 2 L 144/06 -.

Damit verkennt die Kammer nicht, dass pädagogische Gründe für die Einrichtung einer zweiten Integrativen Gruppe an dieser Schule sprechen mögen - sie haben aber nicht das Gewicht, durch Wegfall einer kompletten Schulklasse den Anspruch einer größeren Zahl von Eltern auf Aufnahme in die Gesamtschule leer laufen zu lassen. Schon die geringere Schülerzahl in einer Integrationsklasse gegenüber den für Regelklasen geltenden Werten bedarf der Rechtfertigung, die wegen des notwendigen Betreuungsaufwands der rechtlichen Prüfung standgehalten hat. Mit der Verringerung der Zügigkeit wird dieser enge Rahmen jedoch verlassen.

Soweit in Zeitungsberichten die Rede davon ist, Gremienmitglieder der Klägerin empfänden es als "Skandal", dass die Bezirksregierung sich gegen eine dauerhafte Verringerung der Zügigkeit wende, ist anzumerken, dass es zu dieser Konfliktsituation vermutlich nicht gekommen wäre, wenn dem seit Jahren bestehenden Bedürfnis nach Gesamtschulplätzen nachgekommen worden wäre. Abgesehen davon hat die Bezirksregierung der einmaligen Einrichtung der zweiten Integrationsgruppe zugestimmt, obwohl die Schulleitung unter Missachtung der Rechtsordnung von vornherein nur für sieben Klassen Schülerinnen und Schüler aufgenommen hat.

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