Mitteilungen 01-02/2013, Seite 12, Nr. 9

Landesregierung stoppt Schulgesetznovelle zur Umsetzung der Inklusiven Bildung

Die Landesregierung Brandenburg will in dieser Legislatur keine Rechtsanpassung des Schulgesetzes zur Umsetzung des Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention vornehmen. Dies teilte Ministerin Dr. Münch den kommunalen Spitzenverbänden in einem Gespräch am 16. Januar 2013 mit. Eine Novellierung des Schulgesetzes werde erst in der nächsten Legislaturperiode nach der Landtagswahl im Herbst 2014 erfolgen. Dies darf umso mehr erstaunen, da die inklusive Bildung in allen Schulen mit Schuljahresbeginn 2015/2016 verbindlich sein sollte. Die Landesregierung habe diesen Schritt gewählt, um weitere Erfahrungen in den Pilotschulen zu sammeln und den Dialog in „Bürgerforen“ fortzuführen.

Dieser Schritt überrascht, denn noch in der Sitzung des Runden Tisches Inklusive Bildung im November 2012 kündigte die Ministerin die Übersendung eines Referentenentwurfes zur Änderung des Schulgesetzes für Ende 2012 an!

Mit dieser Entscheidung leistet die Landesregierung Brandenburg den Offenbarungseid in Sachen Inklusiver Bildung. Die Zwischenbilanz nach zwei Jahren Debatte: Kein Konzept, kein Gesetzentwurf. Regionalkonferenzen durch das Sozialministerium zum Einen, durch das Bildungsministerium zum Weiteren, die Einrichtung eines Wissenschaftlichen Beirates und eines Runden Tisches, all dies konnte bislang nur die Diskussion befördern. Fachlich verwertbare Arbeitsergebnisse, die eine Perspektive für die Schulen und die Schulträger geben, fehlen bis heute.
Ohne gesetzgeberische Klärung von Zuständigkeiten, Verfahren, Ausstattung und Finanzierung wird Inklusion Schaufensterpolitik bleiben. Denn nur ein veränderter Rechtsrahmen kann die Rahmenbedingungen definieren und somit Planungssicherheit und Akzeptanz schaffen. Die „Baustellen“ für die Anpassung von Schul- und Kindertagesstättengesetz sind von verschiedenen Seiten hinreichend klar und hinreichend oft benannt worden. Es mangelt in Brandenburg nicht an Erkenntnissen, es mangelt an entsprechenden Schlussfolgerungen und einem professionellen Reformmanagement.

Und es mangelt bislang am politischen Willen, Inklusive Bildung ganzheitlich zu begreifen, die Kommunen als strategische Partner einzubeziehen und die kommunalen Mehraufwendungen entsprechend Art. 97 Landesverfassung auszugleichen. Anregungen und kritisch-konstruktive Hinweise von kommunaler Seite im Vorfeld auf die Pilotphase blieben unberücksichtigt: Ausstattung mit Schulsozialarbeitern, Ausstattung und Qualifizierung der Horte, Finanzierung von baulichen Anpassungsmaßnahmen an Schul- und Hortgebäuden.
Diese Gelingensbedingungen sind seitens der Landesregierung negiert worden. Es hieß, Schulsozialarbeiter seien für die Teilnahme an der Pilotphase nicht erforderlich. Die Schulen mögen sich insoweit mit den Schulträgern und den Trägern der Jugendhilfe ins Benehmen setzen. Horte gebe es bereits an Förderschulen und ohnehin befänden sich diese in kommunaler Trägerschaft. Bauliche Maßnahmen an den Schulen seien in der Pilotphase nicht erforderlich. Im Übrigen wolle man sich bemühen, mit den Schulträgern nach Fördermöglichkeiten zu suchen.

Die Erfahrungen an den Pilotschulen machen deutlich: Die Zuweisung von zusätzlichen Lehrerwochenstunden war hilfreich, aber unzureichend. Es fehlt an einer multiprofessionellen Hilfestruktur an den Schulen. Sonderpädagogen werden zu oft im Vertretungsunterricht eingesetzt. Die Schulen fordern trotz der bekannten Ausschreibungsbedingungen Unterstützung durch Schulsozialarbeiter von den Kommunen ein. Der Hort wird nicht als gleichberechtigter und unerlässlicher Partner betrachtet. In die Fortbildungen haben sich engagierte Erzieherinnen „reindrängeln“ müssen. Berufstätige Eltern geistig behinderter Kinder in Regelschulen erfahren Inklusion nur am Vormittag. Die Hortbetreuung am Nachmittag ist nach gegenwärtiger Rechtslage mit einem hohen finanziellen Aufwand für die Eltern verbunden. Die Unterstützung des Landes bezüglich der sächlichen und baulichen Ausstattung deckt nicht den Bedarf und war bisweilen mit kommunalen Eigenanteilen (bis zu 45 Prozent) verbunden, die Kommunen in der Haushaltssicherung verschlossen blieb.

Für die Städte, Gemeinden und Ämter wird sich die Situation weiter verschärfen, solange der Gesetzgeber untätig bleibt. Wenn Bildung Priorität haben soll, dann müssen die Unzulänglichkeiten der Pilotphase behoben werden. Es ist ein unhaltbarer Zustand, dass die  Beteiligten auf kommunaler Ebene in Auseinandersetzungen gezwungen werden, die es auf Landesebene auszutragen gilt. Es steht in der Verantwortung der Landesregierung, alle relevanten Fragestellungen mit den kommunalen Spitzenverbänden zu erörtern und Antworten zu geben.
Die Geschäftsstelle wird sich hierum weiterhin auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums vom 6. Juni 2011 bemühen. Die von der Ministerin im Dezember gestartete „Arbeitsgruppe Inklusion und Schulträgerangelegenheiten“ wird nur überlebensfähig sein und zu fruchtbaren Ergebnissen führen, wenn Arbeitsprozesse transparent gemacht und durch die Kommunen tatsächlich mitgestaltet werden können. Weiterhin wird am 25. Februar 2013 im Präsidium des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg Gelegenheit für eine Beratung mit Frau Ministerin Dr. Münch sein. 

Ein Meilenstein wäre es, wenn sich die Landesregierung ihrer verfassungsrechtlichen Verantwortung stellt, den Kommunen die mit der Inklusion verbundenen Mehraufwendungen auszugleichen. Doch an dieser Stelle zünden Landespolitiker gern die Nebelkerze der „gesamtgesellschaftliche Verantwortung“ und meinen damit, dass alle staatlichen Ebenen einen Beitrag zur Inklusion zu leisten hätten, und schließlich sei die UN-Behindertenrechtskonvention auch für die Kommunen verbindliches Recht.

Richtig ist: Das Grundgesetz und die Landesverfassung Brandenburg definieren, wie diese gesamtgesellschaftliche Verantwortung wahrgenommen wird. Sie definieren Zuständigkeiten und Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Und sie definieren „Spielregeln“ zwischen diesen Ebenen. Eine zentrale lautet: „Werden die Gemeinden und Gemeindeverbände durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes zur Erfüllung neuer öffentlicher Aufgaben verpflichtet, so sind dabei Bestimmungen über die Deckung der Kosten zu treffen. Führen diese Aufgaben zu einer Mehrbelastung der Gemeinden oder Gemeindeverbände, so ist dafür ein entsprechender finanzieller Ausgleich zu schaffen.“ (Art. 97 Abs. 3 Satz 2 und 3 Landesverfassung Brandenburg). Wegen der Einzelheiten verweisen wir auf das Rechtsgutachten von Prof. Höfling (mitteilungen 08/2012, S. 303 ff.)

Richtig ist: Die UN-Behindertenrechtskonvention entfaltet keine Bindungswirkung gegenüber den Kommunen. Nach der innerstaatlichen Rechtsordnung folgt aus der Ratifizierung die Pflicht des Landtages Brandenburg, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Dies hat ein Gutachten des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Landtages Brandenburg bereits im September 2010 festgestellt.

Zuletzt hat ein Urteil des Verwaltungsgerichtes Minden vom 7. Dezember 2012 verdeutlicht, dass es zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention der Schulrechtsanpassung bedarf. Im Kern hat das Gericht das Vorhaben einer Stadt untersagt, zur Schaffung einer weiteren integrativen Klasse die Zügigkeit der Schule abzusenken. Das Gericht vertrat die Auffassung, dass dies dem gegenwärtig noch geltenden Schulrecht widerspricht (vgl. Veröffentlichung im Rechtsprechungsteil).

Inklusion beginnt im Kopf. Richtig, sie darf dort aber nicht stehen bleiben. Wenn inklusive Regelschulen als qualitativ höherwertiger Ersatz für das bestehende Förderschulsystem entwickelt werden sollen, dann braucht es ein entschlossenes Handeln des Gesetzgebers und eine Landesregierung, die bereit und in der Lage ist, politische Intentionen Recht und Gesetz werden zu lassen. In Pressemeldungen und Veranstaltungsforen wird sich eine inklusive Schule nicht herbeireden lassen. 

Bianka Petereit, Referatsleiterin

Az: 200-02

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