Mitteilungen 10/2013, Seite 365, Nr. 192

Sondervotum zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission 5/2

Nachfolgend wird das Sondervotum von Werner Große - Bürgermeister der Stadt Werder/Havel sowie Präsident des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg – und Karl-Ludwig Böttcher – Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg – als Auszug aus dem als Drucksache 5/8000 veröffentlichten Abschlussbericht der Enquete-Kommission 5/2 dokumentiert (S. 133 - 141):

„C. Abweichende Meinungen gemäß § 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Enquete-Kommissionen des Landtags Brandenburg

1. Abweichende Meinung der Kommissionsmitglieder Werner Große und Karl-Ludwig Böttcher

Sondervotum zum Abschlussbericht der Enquete-Kommission 5/2

1. Brandenburg steht in den nächsten Jahren vor weiteren großen Herausforderungen: Während im Berliner Umland mit weiter steigenden Bevölkerungszahlen zu rechnen ist, haben sich entfernte Regionen auf weiter abnehmende und im Durchschnitt deutlich älter werdende Bevölkerung einzustellen. In einem Teil des Landes besteht mithin Bedarf, Infrastruktur auszubauen. In anderen Gemeinden sind bei bisher ungeahnten Siedlungsdichten von weniger als 15 Einwohnern pro Quadratkilometer die grundlegenden Infrastrukturangebote zu sichern, um nicht noch eine weitere Abwärtsspirale zu beschleunigen. Die Gegensätze zwischen den Landesteilen werden noch deutlich zunehmen. Gleichzeitig verschärft sich der Fachkräftemangel. Brandenburg muss mit anderen Regionen um zuzugsbereite Fachkräfte konkurrieren.

Hinzu kommt, dass die die Wiedervereinigung begleitenden Sonderfinanzierungsinstrumente in den nächsten Jahren auslaufen werden. Die Strukturförderung der Europäischen Union wird wesentlich geringer werden. Hinzu kommen massiv steigende Pensionslasten und der Schuldendienst für die im ersten Jahrzehnt des Landes im Wesentlichen aufgebauten Verbindlichkeiten. Brandenburg wird die Anpassung an Wachstum und Schrumpfung und die Fortentwicklung der Infrastruktur im Wesentlichen aus eigenen Einnahmen finanzieren müssen. Alles erfordert auch eine Überprüfung der bisherigen Leistungsangebote und Verwaltungsstrukturen von Land und Kommunen.

2. Die Enquete-Kommission 5/2 hatte versucht, die wesentlichen Auswirkungen und Herausforderungen des Strukturwandels aufzuzeigen und Lösungsempfehlungen anzubieten. Sie hat richtig erkannt, dass auf die höchst unterschiedlichen Entwicklungen und Anforderungen im Lande differenziert reagiert werden muss. Es müssen lokal verantwortete und angepasste Lösungen ermöglicht werden.

In einem Grundsatzbeschluss zur Funktionalreform hat die Kommission richtig festgestellt, dass Problemlösungen in weitaus größerem Umfang lokal verantwortet, entschieden und umgesetzt werden müssen. Nur so lässt sich auf die im Lande unterschiedlichen Herausforderungen jeweils angemessen reagieren. Sie empfiehlt konsequenterweise zahlreiche, bislang von der unmittelbaren Landesverwaltung erfüllte Aufgaben in regionale Verantwortung vergrößerter Landkreise und der kreisfreien Städte abzugeben.

3. In der weiteren Umsetzung ist die Kommission „zu kurz“ gesprungen. Die Kommission hat zwar richtig festgestellt: „Aufgaben sind weitgehend auf der untersten Verwaltungsebene wahrzunehmen, sprich den Gemeinden. Ist dort eine effektive und effiziente Aufgabenerledigung nicht möglich, ist eine Wahrnehmung  auf der Kreisebene vorzunehmen.“ (Seite 42). Sie hat aber nicht den Mut gehabt, das von ihr als wesentlichen Reformgrundsatz anerkannte Subsidiaritätsprinzip auch mit den entsprechenden Vorschlägen zur Aufgabenübertragung von der Ebene der Landkreise auf die Städte und Gemeinden zu untersetzen.

Dies wäre notwendig. Die empfohlene Konzentration der Landkreise von bislang 14 auf sieben bis zehn dann großflächige Regionalkreise wird die Entfernung zwischen Aufgaben und den sachentscheidenden und verantwortlichen Stellen deutlich steigen lassen.

4. Die von der Kommission ebenfalls befürwortete Fortentwicklung der Ämter von Bundkörperschaften zu echten Gemeindeverbänden mit einer unmittelbar gewählten Vertretung wird grundlegend in die Verantwortungs- und Aufgabenverteilung der bisherigen Ämter eingreifen. Die Städte und Gemeinden werden viele bislang gemeindliche Selbstverwaltungsaufgaben kraft Gesetzes an die Amtsgemeinde abtreten müssen. Dieses ist mit einem nicht unerheblichen verfassungsrechtlichen Risiko verbunden. Der Zuständigkeitsvorrang der Gemeinde gegenüber dem Landkreis gilt zumindest in abgeschwächter Form auch gegenüber dem Gemeindeverband „Amtsgemeinde“. In diesem Zusammenhang sei nur daran erinnert, dass das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg eine Übertragung der Flächennutzungsplanung von den amtsangehörigen Gemeinden auf die Ämter als mit der Verfassung unvereinbar angesehen hatte. Das Gericht hatte im Urteil vom 21.03.2002 - VfGBbg 19/01 -, www.verfassungsgericht.brandenburg.de ausgeführt:

Ebenso wie Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (vgl. hierzu BVerfGE79, 127, 152) räumt auch Art. 97 Abs. 2 LV Gemeinden in den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft einen Vorrang ein, den der Gesetzgeber bei der Zuordnung von Aufgaben grundsätzlich auch im Verhältnis der Gemeinden zu den Ämtern zu berücksichtigen hat (vgl. Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, Urteil vom 17. Oktober 1996 – VfGBbg 5/95 -, LVerfGE 5, 79, 89 f.). Nur wenn die Aufgabe keinen oder keinen relevanten örtlichen Charakter besitzt, ist der Gesetzgeber in der Aufgabenzuordnung frei (vgl. BVerfGE 79, 127, 152). Hat die Aufgabe indes örtliche Relevanz, muß der Gesetzgeber berücksichtigen, daß sie insoweit grundsätzlich der Gemeindeebene zuzuordnen ist (BVerfGE, ebd.). Will er die Aufgabe den Gemeinden gleichwohl entziehen, kann er dies nur, wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 97 LV überwiegen (vgl. dazu BVerfGE 79, 127, 152).

5. Das Amt bzw. eine nach Übernahme substanzieller bisheriger Kreisaufgaben fortentwickelte Amtsgemeinde ist und bleibt im Flächenland Brandenburg eine sinnvolle und notwendige Alternative zu großflächigen Einheitsgemeinden. Schon wegen des verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzips darf die künftige Amtsgemeinde ihren Aufgabenbestand aber nicht - wie jetzt von der Mehrheit der Kommission empfohlen - im Wesentlichen aus bislang gemeindlichen Aufgaben ziehen. Vielmehr wäre es geboten gewesen, gerade auch übergemeindlich wirkende kreisliche Selbstverwaltungsaufgaben wieder in die gemeindliche Verantwortung zurückzuführen. Dies betrifft etwa die Trägerschaft von Schulen der Sekundarstufe eins und zwei oder die Gestaltung und Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs.

6. Insbesondere bisherige kreisliche Ausgleichs- und Ergänzungsaufgaben müssten aber im Lichte der beabsichtigten Regionalkreisbildung und der Einführung einer zweiten echten Gemeindeverbandsebene neu justiert werden, um die mit der Bildung von Amtsgemeinden verbundenen weitreichenden Umstrukturierungsprozesse zu rechtfertigen. Die künftigen Regionalkreise müssten ihre Stärkung insbesondere aus der Wahrnehmung bisher von der unmittelbaren Landesverwaltung vollzogenen Aufgaben erfahren. Die kreislichen Aufgaben haben hinter die Aufgaben der künftigen Amtsgemeinde zurückzutreten. Die künftige Amtsgemeinde wird als echter Gemeindeverband - wie in Rheinland-Pfalz - auch die Leistungsfähigkeit ihrer Ortsgemeinden zu stärken und zu ergänzen haben. Aber auch andere Aufgaben, die entweder publikumsintensiv sind oder einen hohen Ortsbezug aufweisen, hätten zu einer Rückübertragung empfohlen werden müssen. Dies betrifft etwa den Vollzug von Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung oder Zulassung von Kraftfahrzeugen. Völlig unverständlich ist es, wenn die Kommission noch nicht einmal empfiehlt, die Aufgaben, die viele Städte und Gemeinden jetzt beim Vollzug der Straßenverkehrsordnung auf Grundlage des Standarderprobungsgesetze durchführen, im bisherigen Umfang weiterführen zu können. Diese Städte und Gemeinden müssten im Zuge der auf ihre Stärkung gerichteten Reform für die örtliche Gemeinschaft wichtige Aufgaben zum Teil wieder abgeben.

7. Die von der Kommission empfohlene Mindesteinwohnerzahl von 10.000 (bezogen auf das Jahr 2030) wird in dünn besiedelten Landesteilen zu Körperschaften mit einer Fläche von über 600 km² führen. Dies veranschaulicht, dass von den Landkreisen zu verantwortende überörtliche Aufgaben neu zu definieren wären.

8. Im Übrigen wäre es geboten, innerhalb der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und künftigen Amtsgemeinden eine nach Einwohnerzahlen differenzierte Aufgabenwahrnehmung vorzuschlagen. Eine Stadt oder Amtsgemeinde mit 30.000 Einwohnern kann einen differenzierteren Personalkörper vorhalten, als eine Amtsgemeinde mit 10.000 Einwohnern. Dieses würde auch die Eigenverantwortlichkeit der mittleren Städte stärken.

9. Die Mehrheit der Kommission vertritt die Erwartung, durch eine Zusammenführung gemeindlicher Verwaltungen substanzielle finanzielle Einsparungen zu erreichen. Wohl vor diesem Hintergrund wurde auch eine Mindesteinwohnergrenze von 10.000 Einwohnern ohne Flächenobergrenze empfohlen. Damit wird der Differenziertheit im Land Brandenburg nicht Rechnung getragen. In dünn besiedelten Regionen dürfte diese Einwohnergrenze zu Flächen von über 600 km² führen. Eine örtliche Gemeinschaft ist dies nicht mehr. Auch ein gemeindlicher Gemeindeverband dürfte hier die Grenzen der Leistungsfähigkeit überschritten haben. Schon bei der Gemeindestrukturreform 1998 bis 2003 waren verschiedene großflächige Ämter durch Zusammenschluss entstanden. Der Amtsdirektor des flächengrößten Amtes Lieberose-Oberspreewald (410 km²) hatte in der Anhörung der Kommission die Grenzen der Verwaltbarkeit aufgezeigt.

Demgegenüber kann es in dichter besiedelten Landesteilen durchaus sinnvoll sein, auch größere Städte und Gemeinden, deren Territorien und Verflechtungsbereiche ineinander übergehen, zusammenzuführen. Hier könnte eine berechtigte Hoffnung bestehen, dass daraus ein funktionierendes Gemeinwesen erwächst.

Aus den vorstehend genannten Gründen hatte sich die Enquete-Kommission bei der Erörterung möglicher Gemeindemodelle Vorschläge zurecht nicht zu Eigen gemacht, die sog. Mittelbereiche des Landesentwicklungsplanes Berlin-Brandenburg als Anknüpfungspunkte der Bildung künftiger Amtsgemeinden zu sehen. Gleichwohl finden sich unter B.3.III.3.b) Ausführungen dazu. Die Ausführungen fußen nicht auf Beratungen der Kommission zur Gemeindestruktur und sind auch nicht aus den Einzelbeschlüssen Kommission ableitbar. Es ist daher kaum erklärlich, auf welchem Wege diese – den Einzelbeschlüssen der Kommission widersprechenden - Ausführungen den Weg in den Abschlussbericht gefunden haben.

10. Richtigerweise hat die Kommission darauf verzichtet, eine weitere landesweite Gemeindestrukturreform zu empfehlen. Sie hat dabei anerkannt, dass wenige Jahre nach einer umfassenden Gemeindestrukturreform, bei der die Zahl der Städte und Gemeinden von rund 1600 auf etwa 420 zusammengeführt wurde, das Verbot der so genannten Mehrfachneugliederung einer weiteren umfassenden Gemeindegebietsreform entgegensteht. Dies insbesondere auch deshalb, weil dem damaligen Gesetzgeber bekannt war, dass innerhalb kurzer Zeit viele amtsfreie Gemeinden und auch Ämter weniger als 5000 Einwohner aufweisen werden.

11. Die Mehrheit der Kommission erhofft sich von einer Zusammenführung der gemeindlichen Verwaltungsträger auch, dass damit ein Beitrag zur Konsolidierung des Landeshaushaltes von den Kommunen geleistet werden kann. Die Mehrheit der Kommission hat es allerdings nicht vermocht, mögliche Synergieeffekte anhand der Ergebnisse der ersten Gemeindestrukturreform (1998-2003) darzulegen. Dies wäre aber zu erwarten gewesen. Die Zahl der Gemeinden wurde von rund 1600 auf etwa 420 reduziert. Es entstanden zum Teil Ämter oder amtsfreie Gemeinden mit Flächen, die jetzt im politischen Raum als Flächenobergrenzen genannt werden. Anhand der Kassen- und Personalstatistik wäre es möglich gewesen, reformbedingte Synergieeffekte zu beziffern. Stattdessen hat sich die Mehrheit darauf beschränkt, einen allgemeinen Erfahrungssatz zu postulieren, dass mit der Zahl der zu bearbeitenden Vorgänge auch eine Kosteneinsparung einherginge. Eine solche schlichte Begründung ist für eine solch weitreichende Veränderung nicht ausreichend. Vielmehr erwarten die Städte und Gemeinden, dass anhand der Ergebnisse der letzten Reform und seither bestehender großflächiger Ämter oder Einheitsgemeinden die eingetretenen Effekte belastbar aufgezeigt werden.

12. Dieser Mangel zieht sich durch den Bericht. Der Kommission ist es nicht mehr gelungen, die vorgeschlagenen Verwaltungsreformen auch mit einem belastbaren Finanzierungsmodell zu unterlegen. Es wird jedenfalls von den Unterzeichnern nicht davon ausgegangen, dass die Bildung von Amtsgemeinden einen spürbaren Beitrag zur Senkung des gemeindlichen Finanzbedarfs leisten kann.

13. Insbesondere hätte die Kommission sich auch intensiver mit der Belastung der kreisangehörigen Städte und Gemeinden durch stetig steigende Kreisumlagen befassen müssen. So stieg nach den vom Ministerium des Innern der Kommission übermittelten Angaben im Landesdurchschnitt die Kreisumlage je Einwohner von 154,00 Euro im Jahre 1994 über 240,00 Euro im Jahre 2001 auf 378,00 Euro im Jahr 2011. Der durchschnittliche Hebesatz stieg von 38 % (1994) über 40 % (2001) auf 45 % (2011). Die Unterzeichner gehen davon aus, dass die gemeindliche Leistungsschwäche insbesondere auch auf steigende Kreisumlagen zurückzuführen ist. Als ein Korrektiv wäre es geboten, dass, wie in den übrigen ostdeutschen Flächenländern, die Hauptverwaltungsbeamten der kreisangehörigen Städte und Gemeinden nicht weiter von der Mitgliedschaft in den Kreistagen ausgeschlossen sind. Die Bürger sollen
sich auch durch ihre hauptamtlichen Bürgermeister in den Kreistagen vertreten lassen können.

14. Die Unterzeichner sehen auch keine Alternative zur Beibehaltung der bisherigen kreisfreien Städte Potsdam, Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt (Oder).

Im Rahmen ihres Auftrages hat sich die Enquete-Kommission intensiv mit der Frage beschäftigt, ob eine Einkreisung der kreisfreien Städte für das Land Brandenburg nachhaltige Vorteile mit sich bringen könnte. Insbesondere ist sie auch der Frage nachgegangen, ob die Haushaltslage der kreisfreien Städte durch eine Einkreisung dauerhaft gesunden könnte. Sie hat dies nicht bejahen können.

Die Kommission war sich einig, dass für die Landesentwicklung starke Oberzentren notwendig sind, die Ausstrahlungswirkung auf das gesamte Land entfalten. Die Anhörung des Vertreters der ehemals kreisfreien Stadt Eisenhüttenstadt hatte der Kommission die Folgen der im Rahmen der ersten Kreisgebietsreform erfolgten Einkreisung deutlich gemacht. Die Stadt Eisenhüttenstadt sah und sieht sich über Jahre hinweg nach dem Verlust der Kreisfreiheit Doppelbelastungen ausgesetzt. Einerseits erfüllte sie sowohl Selbstverwaltungs- als auch Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung als städtische Aufgaben weiter, andererseits musste sie als kreisangehörige Stadt mit erheblichen Kreisumlagezahlungen Leistungsschwächen des Umlandes ausgleichen. Im Ergebnis hat dies dazu geführt, dass die städtischen Aufgaben immer mehr zurückgeführt und damit auch die Umlandfunktionen der Stadt eingeschränkt wurden. Wegen der Unterfinanzierung des Haushaltes musste sogar der Vollzug des Bauordnungsrechts dem Kreis angetragen werden. Infolgedessen ist es auch nicht gelungen, den städtischen Haushalt nachhaltig zu konsolidieren. Vielmehr hat die Stadt bis heute mit sehr hohen Haushaltsdefiziten zu kämpfen. Die Abwanderung der Einwohner hat sich aus der eingekreisten Stadt forciert. Von rund 46.000 (1992) Einwohnern fiel die Einwohnerzahl auf rund 28.000 (Zensus 2011). Auch die in dem vom Ministerium des Innern der Kommission übermittelten Projektbericht von Färber/Wieland zur Einkreisung kreisfreier Städte in Mecklenburg-Vorpommern nahe gelegten Ausgleichsmechanismen (z.B. differenzierte Kreisumlage) sind bei der Einkreisung der kreisfreien Städte Schwedt (Oder) und Eisenhüttenstadt im Land Brandenburg nicht zum Tragen gekommen. Bei der Festsetzung der Kreisumlage handelt es sich nämlich um autonome Entscheidungen der Kreistage, die im Rahmen der kreislichen Selbstverwaltung getroffen werden. Es kann nicht prognostiziert werden, ob und wenn ja, welches Gewicht ein Ziel „Stärkung von Oberzentren“ bei Entscheidungen der Kreistage haben wird. Möglichen Lenkungsmöglichkeiten durch den Landesgesetzgeber hat das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg enge Grenzen gesetzt. Im Ergebnis ist jedenfalls mittelfristig davon auszugehen, dass viele oberzentrale Einrichtungen von den Oberzentren auf Dauer nicht mehr vorgehalten werden können. Dies wird insbesondere die zahlreichen städtischen kulturellen und sozialen Einrichtungen betreffen, die gerade die Ausstrahlungskraft eines Oberzentrums für die Region ausmachen. In Mecklenburg-Vorpommern wurde die Kreisgebietsreform von der Einkreisung mehrerer kreisfreier Städte begleitet. Gleiches gilt für Sachsen. Bei den Anhörungen, die die Kommission vorgenommen hat, konnten solche Einsparungseffekte für die Haushalte der ehemals kreisfreien Städte in beiden Ländern jedenfalls nicht dargestellt werden. Vielmehr wurden Probleme der Vermögensauseinandersetzung aufgezeigt, etwa ob die ehemals kreisfreien Städte Verwaltungsvermögen entschädigungslos den Regionalkreisen zu übertragen haben oder, ob und wenn ja, in welchem Umfang die Landkreise Verbindlichkeiten der ehemaligen kreisfreien Städte zu übernehmen haben.

Ferner ist davon auszugehen, dass die Städte weitere wichtige Gestaltungsaufgaben der örtlichen Gemeinschaft an die Regionalkreise verlieren werden. Dies betrifft etwa die Trägerschaft und eigenverantwortliche Gestaltung des städtischen öffentlichen Personennahverkehrs, die Trägerschaft von weiterführenden Schulen oder von Sparkassen. Wesentliche Genehmigungszuständigkeiten werden von den Oberzentren auf die künftigen Regionalkreise verlagert werden. Dies betrifft Entscheidungen aus den Gebieten des Wasser-, Naturschutz-, Denkmalschutz-, Immissions-schutz-, Abfall-, Bodenschutz- oder des Bauordnungsrechts. Damit würden den Stadtverordnetenversammlungen auch Kontrollrechte über Entscheidungen zur Stadtentwicklung entzogen.

Nicht unerwähnt bleiben kann auch, dass die Aufgaben der – für die Quartiersentwicklung bedeutsamen – Sozial- und Jugendhilfe vom künftigen Regionalkreis wahrgenommen würde. Auch die wirtschaftliche Entwicklung dürfte dadurch beeinträchtigt werden, dass für das Territorium der Oberzentren neben den Wirtschaftsförderungseinrichtungen des Landes und der Stadt auch die des Regionalkreises auftreten.

Ferner ist festzuhalten, dass eine Ursache für die Haushaltslage der kreisfreien Städte des Landes Brandenburg die unzureichende Finanzierung übertragener Aufgaben des Landes darstellt. Die Entscheidung des Landesverfassungsgerichts vom 30. April 2013 zur Kita-Finanzierung dürfte die Landesregierung verpflichten, das strikte Konnexitätsprinzip auch insoweit zu erfüllen.

In den vergangenen Jahren haben die kreisfreien Städte große Sparanstrengungen unternommen. Dies zeigt sich auch daran, dass im statistischen Bericht „Personal der Gemeinden und Gemeindeverbände im Land Brandenburg am 30. Juni 2011“ für die im Haushalt geführten Ämter und Einrichtungen durchschnittlich 12,7 Vollzeitäquivalente pro 1.000 Einwohner ausgewiesen werden. Dies liegt deutlich unter dem vergleichbaren Wert der Summe der Kreisverwaltungen und der kreisangehörigen Städte, Gemeinden und Ämter (einschließlich amtsangehöriger Gemeinden) mit durchschnittlich zusammen 14,9 Vollzeitäquivalenten. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass keine ebenenübergreifenden Abstimmungsprozesse vorgesehen sind. Kreisfreie Städte sehen sich höheren Konsolidierungsanstrengungen ausgesetzt, da sie steigende Kosten nicht durch eine Erhöhung der Kreisumlage ausgleichen können.

Unabhängig davon konnte sich die Kommission am Beispiel der Stadt Cottbus und des Landkreises Spree-Neiße davon überzeugen, dass in einzelnen Fachämtern – insbesondere beim Vollzug von Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung – die Zusammenarbeit zwischen kreisfreien Städten und den sie umgebenden Landkreisen vertieft werden kann. Daher sollten die Körperschaften ausdrücklich zu diesem Weg der interkommunalen Zusammenarbeit
ermutigt werden.
 
15. Die Enquete-Kommission hat ihren Arbeitsschwerpunkt auf die Fortentwicklung der Kommunalverwaltung gesetzt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Konsolidierung der unmittelbaren Landesverwaltung zentrale Aufgabe der künftigen Landtage und Landesregierungen bleiben muss. Der Reformdruck der letzten Jahre darf nicht nachlassen. Aufgabenkritik muss wieder als eine zentrale Steuerungsaufgabe angesehen werden. Weiter muss es auch darum gehen, die noch immer vorhandenen Parallel- und Doppelzuständigkeiten der unmittelbaren Landesverwaltung abzubauen, aber auch schon im Vorfeld der umfassenden Verwaltungsstrukturreform die Zahl der Ressorts zurückzuführen. Damit würde die künftige Landesregierung sowohl ihrem nachgeordneten Bereich als auch der kommunalen Ebene Reformfähigkeit vorleben.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Unterzeichner sich aus vorgenannten Gründen gehalten sahen, dem Abschlussbericht der Enquete-Kommission 5/2 nicht zustimmen zu können und ein Sondervotum abzugeben.“

Jens Graf, Referatsleiter

Az: 011-01

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