Mitteilungen 01/2016, Seite 22, Nr. 10

Resolution des Deutschen Städtetages gegen Einkreisung kreisfreier Städte

Im Rahmen der ersten Kreisgebietsreform wurden 1993 im Land Brandenburg bekanntlich die Städte Schwedt/Oder und Eisenhüttenstadt in die neuen Landkreise Uckermark bzw. Oder-Spree eingekreist. Zwar wurde ihnen der Status einer Großen kreisangehörigen Stadt zuerkannt. Die damit in Aussicht gestellte Möglichkeit, viele am besten örtlich zu entscheidende Aufgaben weiter wahrnehmen zu können, ließ sich immer weniger realisieren. Den Aufgaben folgten nämlich nicht die dafür erforderlichen Finanzen. Auch von der Landesregierung war in der Folgezeit immer weniger Bereitschaft zu spüren, größeren Städten mehr Entscheidungsautonomie einzuräumen. Die Ergebnisse dieser Politik sind bekannt.

Auch in anderen ostdeutschen Bundesländern mussten nach der friedlichen Revolution viele ehemals kreisfreie Städte wesentliche Bereiche ihrer Selbstverwaltung im Zuge von Kreisgebietsreformen abgeben. Zu erinnern ist an die Einkreisung der Städte Stralsund, Neubrandenburg, Greifswald und Wismar im Zuge der Kreisgebietsreform Mecklenburg-Vorpommern 2011 oder die Einkreisung der Städte Görlitz, Hoyerswerda, Plauen und Zwickau im Rahmen der sächsischen Kreisgebietsreform 2008.

Aktuell wird nicht nur im Land Brandenburg, sondern auch in anderen Bundesländern wie Thüringen und  Rheinland-Pfalz über weitere Einkreisungen diskutiert. Oft geht es darum, Entscheidungen von der bürgerschaftlichen städtischen auf eine Regionalkreisebene zu verlagern. Die rot-rote Koalition in Brandenburg hat das politische Ziel der Stärkung der Landkreise zulasten der kreisfreien Städte in ihrem Koalitionsvertrag verankert und zum Teil durch Parteitagsbeschluss bekräftigen lassen. Es gibt aber auch andere Ansätze: die Stadt Reutlingen tritt selbstbewusst in der Öffentlichkeit für die Erlangung ihrer Kreisfreiheit ein.

Aufgrund von Initiativen verschiedener seiner betroffenen Landesverbände hat sich jetzt auch der Deutsche Städtetag öffentlich zu Wort gemeldet: in den Gremien wurde eine Resolution gegen die Einkreisung kreisfreier Städte verabschiedet. Am 30. November 2015 wurde sie in einer Veranstaltung in der kreisfreien Stadt Frankfurt (Oder) der Öffentlichkeit vorgestellt.

In der Resolution spricht sich der Deutsche Städtetag gegen die Einkreisung kreisfreier Städte aus. Der kommunale Spitzenverband appelliert an die Länder, bei geplanten kommunalen Gebietsreformen die Gestaltungsmacht kreisfreier Städte nicht durch den Entzug der Kreisfreiheit einzuschränken. Die Resolution wird nachfolgend dokumentiert.

Jens Graf, Referatsleiter
 
Resolution des Deutschen Städtetages gegen Einkreisung kreisfreier Städte
Vorbemerkung

Gemeinde- und Kreisgebietsreformen sind insbesondere in den siebziger Jahren in den alten Ländern und unmittelbar nach der friedlichen Revolution in den neuen Ländern wiederholt durchgeführt worden. Ziel war dabei, die Kommunen in die Lage zu versetzen, den gestiegenen Anforderungen an die Aufgabenerfüllung Rechnung tragen zu können. Bemerkenswert hierbei ist, dass belastbare Evaluierungen der Ergebnisse der Reformmaßnahmen, zumindest was die letzte Reformwelle in den neuen Ländern anlangt, nicht vorliegen.

Vor dem Hintergrund einer zurückgehenden Bevölkerung und der Finanzschwäche von Kommunen bereiten einige Bundesländer weitere kommunale Gebietsreformen vor. Dabei wird neben einer Fusion von Gemeinden und der Vergrößerung von Landkreisen insbesondere auch die Einkreisung von kreisfreien Städten diskutiert. Der Deutsche Städtetag beobachtet diese Diskussion und die Durchführung entsprechender Reformmaßnahmen mit großer Sorge.

1. Kommunale Selbstverwaltung garantieren – Subsidiaritätsprinzip anerkennen

Das Grundgesetz und die Landesverfassungen schützen das Recht der kommunalen Selbstverwaltung. Den Kommunen wird damit das Recht garantiert, örtliche Angelegenheiten selbstverantwortlich und mit politischem Gestaltungsspielraum zu erledigen.

Der Kern der kommunalen Selbstverwaltung liegt in einer bürgerschaftlich getragenen, mit ehrenamtlichen Organen ausgestatteten Kommunalverwaltung. Das Grundgesetz hat sich bewusst für eine dezentrale, bürgerschaftlich getragene Verwaltung entschieden, auch wenn dies im Vergleich zu zentralisierten Verwaltungen mit höheren Kosten verbunden sein kann.

Der Entzug der Kreisfreiheit und damit die erzwungene Abgabe von Aufgaben stellt einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung und einen Verstoß gegen das auch europarechtlich geschützte Subsidiaritätsprinzip dar. Das Recht der Stadtbevölkerung, die eigenen Angelegenheiten in eigener Verantwortung zu regeln, wird eingeschränkt.

Der Deutsche Städtetag fordert die betroffenen Länder auf, die Grundsätze der kommunalen Selbstverwaltung und der Subsidiarität konsequent zu beachten. Die gegenwärtig diskutierten Einkreisungsmodelle legen Hand an einen Zustand, der vom Verfassungsgeber ausdrücklich gewollt wurde. Eine pauschale Priorisierung von Kreisen zu Lasten der Städte und Gemeinden ist rechtlich fragwürdig und grundsätzlich abzulehnen, zumal wenn sie nur erfolgt, um den Funktions- oder Einwohnerverlust von Landkreisen aufzuhalten bzw. zu verzögern.

2. Problemlösungskompetenz und Gestaltungsmacht erhalten

Einkreisung kann für kreisfreie Städte einen erheblichen Verlust von Gestaltungsmacht bedeuten. Die von kreisfreien Städten wahrgenommenen Aufgaben können nach einer Einkreisung aufgrund der dann reduzierten finanziellen und personellen Ausstattung nicht mehr im gewohnten Umfang eigenverantwortlich wahrgenommen werden. Insbesondere in zentralen Aufgabenfeldern wie z.B. den Bereichen Soziales, Wirtschaft, Bau, Wohnen, Bildung, Gesundheit, Verkehr und Kultur geht Problemlösungskompetenz und Gestaltungsmacht verloren. Die Städte werden dadurch erheblich geschwächt. Gerade anlässlich der Bewältigung der gegenwärtigen Flüchtlingszuwanderung hat es sich gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Städte Lösungen für die damit verbundenen Probleme aus einer Hand anbieten können.

Das Bundesverfassungsgericht hat zuletzt deutlich gemacht, dass der Umfang städtischer Selbstverwaltungsaufgaben von der Größe der betroffenen Gemeinde abhängig ist. Was kleinere Gemeinden überfordern würde und daher auf überörtlicher Ebene wahrzunehmen ist, hat in größeren Gemeinden und Städten häufig den Charakter einer Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft. Die Voraussetzungen für einen Aufgabenentzug liegen hier schlechterdings nicht vor.

Die Aufgabenkonkurrenz zwischen Landkreisen und Städten hat sich schon in der Vergangenheit als äußerst abträglich erwiesen. Schon bisher mussten kreisangehörige Städte vielerorts Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft an die Kreisebene abgeben, weil sie neben der Kreisumlagebelastung finanziell nicht mehr in der Lage waren, weiterführende Schulen oder Kultureinrichtungen selbstständig zu tragen. Ähnliche Auswirkungen sind von weiteren Einkreisungen betroffener Städte in den nächsten Jahren zu erwarten.

Der Deutsche Städtetag fordert die Länder auf, die Gestaltungsmacht kreisfreier Städte nicht durch Einkreisungen einzuschränken und die Verwaltungseffektivität kreisfreier Städte angemessen zu würdigen. Die Konsequenz aus der allgemein zu beobachtenden Verstädterung muss die Stärkung städtischer Gestaltungsmacht sein, und gerade nicht eine Stärkung der Kreise.

3. Leistungsfähige Stadt-Umland-Kooperationen würdigen

Die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Umland ist ein Schlüsselfaktor für die positive Entwicklung eines Verflechtungsraumes. Um die hierzu erforderlichen institutionalisierten Netzwerke zwischen Stadt und Umland aufzubauen und zu pflegen, bedarf es keiner Einkreisung. Kreisangehörigkeit ist keine Voraussetzung für ein erfolgreiches Miteinander. Kreisfreie Städte treten hinsichtlich bestehender oder geplanter Stadt-Umland-Kooperationen eigenständig in Aushandlungsprozesse mit Umlandgemeinden ein. Dies kann für beide Seiten deutlich vorteilhafter und zielführender sein als es einem Landkreis zu überlassen, dieses Zusammenwirken zu organisieren, da die gesetzlich geforderte Ausgleichsfunktion der Kreise einer gemeinsamen Nutzung von Ballungsvorteilen durch Stadt und Umland eher entgegensteht.

Der Deutsche Städtetag fordert die Landesgesetzgeber dazu auf, die bestehenden leistungsfähigen Kooperationen zwischen kreisfreien Städten und ihren Umlandgemeinden zu würdigen und deren erfolgreiche Zusammenarbeit nicht durch den Entzug autonomer städtischer Handlungsmöglichkeiten zu gefährden.

4. Stellung kreisfreier Städte im zentralörtlichen System erhalten – Versorgung des Verflechtungsbereichs sichern

Kreisfreie Städte spielen im zentralörtlichen System der Bundesrepublik Deutschland eine bedeutende Rolle. Sie sind zumeist Hauptträger der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und verkehrlichen Entwicklung eines weiten Verflechtungsbereichs. Sie haben als Standorte spezialisierter Dienstleistungs- und Verwaltungsangebote sowie sonstiger hochrangiger Einrichtungen eine herausragende Bedeutung. Bei Verlust der Kreisfreiheit können Städte Einbußen in ihrer zentralörtlichen Funktion erleiden. Ein Verlust an kommunaler Leistungskraft wäre die Folge, der auf die Versorgungssituation im Verflechtungsbereich ausstrahlen würde und die regionale und überregionale Bedeutung und Attraktivität von Stadt und regionalem Umfeld beeinträchtigen könnte.

Die Stellung kreisfreier Städte im zentralörtlichen System der Bundesrepublik Deutschland darf nicht durch den Verlust der Kreisfreiheit beeinträchtigt werden. Es muss sichergestellt sein, dass die Attraktivität der Städte als Standorte für Unternehmen und private Haushalte Bestand hat, dass Ballungsvorteile erhalten bleiben und Verflechtungsbereiche weiterhin profitieren. Die Landesgesetzgeber werden aufgefordert, kreisfreie Städte als Zentren von herausragender Bedeutung anzuerkennen und für die umfassende Versorgung eines weiten Umlands mit einem spezialisierten, gehobenen Bedarf zu erhalten.

5. Bürgernähe erhalten – keine Verlagerung politischer Verantwortlichkeiten

Überschaubare und unmittelbar zugängliche politische Einheiten auf kommunaler Ebene sind die Grundvoraussetzungen für die politische Teilhabe der Bürger an der Gestaltung örtlicher Angelegenheiten. Städte sind die bürgernächste Stufe der Verwaltung und erste Ansprechpartner für die Bürger. Sie sind Orte, welchen sich Bürger verbunden fühlen. Menschen begreifen sich in erster Linie als Bürger ihrer Stadt, nicht als „Kreisbürger“. Das Selbstverständnis der Bürgerschaft, sich in kommunale Angelegenheiten einzubringen, ist eine Grundfeste der Demokratie. Einkreisungen bergen die Gefahr, dass die Bürgernähe der Verwaltung, insbesondere deren Erreichbarkeit und Problemnähe, verloren geht und das bürgerschaftlich-demokratische Engagement der Bürger abnimmt.

Der Deutsche Städtetag appelliert an die Länder, Ortsbezug, Erreichbarkeit und Bürgernähe der Verwaltungen in den kreisfreien Städten zu erhalten und keine Verlagerung von Verantwortlichkeiten auf eine dem Bürger unvermeidlich weniger direkt zugängliche Ebene zuzulassen.

6. Finanzielle Eigenverantwortung kreisfreier Städte sichern – Effizienzgewinne von Einkreisungen nicht nachweisbar

Die Einkreisung einer kreisfreien Stadt hat erhebliche Auswirkungen auf die Einnahmen- und Ausgabenstruktur der Stadt. Durch Einkreisung ergeben sich Effekte aus der Übertragung von Aufgaben auf die Kreisebene und damit verbundene Veränderungen von Einnahmen und Aufwendungen. An die Stelle der eigenständigen und eigenverantwortlichen Bewirtschaftung der Haushaltsmittel tritt die Heranziehung zu einer pauschalen  Kreisumlage. Auch wenn die finanziellen Handlungsspielräume unserer Städte häufig gering sind – damit geht ein Verlust an eigenständiger Gestaltungsmacht und unmittelbarer Einflussnahme und Kontrolle durch die Bürgerschaft vor Ort verloren. Effizienzvorteile durch Einkreisungen werden zwar immer wieder behauptet, sind aber nirgendwo belastbar nachgewiesen.

Der Deutsche Städtetag fordert die Landesgesetzgeber auf, die finanzielle Handlungsfreiheit kreisfreier Städte nicht durch Einkreisungen einzuschränken. Die Tatsache, dass durch Einkreisungen zu erzielende Effizienzsteigerungen bzw. Kosteneinsparungen bis heute nirgendwo nachgewiesen werden konnten, sollte die Gesetzgeber angesichts der vielen Nachteile davon abhalten, diese Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die kreisfreien Städte und zentralen Orte müssen durch eine aufgabenadäquate  Finanzausstattung gestärkt werden.

Az: 011-00

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