Mitteilungen 03/2009, Seite 129, Nr. 66

Interkommunale Zusammenarbeit und Vergaberecht : EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland

Die Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH, Ján Mazák, vom 19. Februar 2009 (Rechtssache C-480/06), liegt ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland in der Frage einer interkommunalen Kooperation (Abfallversorgungsvertrag zwischen der Stadtreinigung Hamburg und vier benachbarten Landkreisen) zugrunde. Der Generalanwalt hat dem EuGH in seinen Schlussanträgen vorgeschlagen, eine vergaberechtliche Vertragsverletzung der Bundesrepublik Deutschland festzustellen.

1. Sachverhalt

Die Klage der Kommission betrifft einen zwischen den Landkreisen Harburg, Rotenburg (Wümme), Soltau-Fallingbostel und Stade einerseits und der Stadtreinigung Hamburg andererseits ohne vorherige Ausschreibung abgeschlossenen Vertrag zur Entsorgung und Verbrennung von Müll in der Anlage Rugenberger Damm. Für den beanstandeten Vertrag war eine Laufzeit von 20 Jahren ab dem 15. April 1999 vorgesehen.

Die EU-Kommission wurde im vorliegenden Fall tätig aufgrund der Beschwerde eines Bürgers, der meinte, zu hohe Gebühren für die Abfallentsorgung zu zahlen. Im Rahmen ihrer Prüfung kam die EU-Kommission zu der Ansicht, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass zwischen den Landkreisen und der Stadtreinigung Hamburg ein Abfallentsorgungsvertrag direkt, ohne gemeinschaftsweite Ausschreibung und Vergabe geschlossen worden ist, gegen EU-Vergaberecht verstoßen habe.

Die von der Bundesrepublik Deutschland in ihren Stellungnahmen hiergegen vorgebrachte Auffassung war, dass der beanstandete Vertrag nicht vergaberechtspflichtig sei, da er Ausdruck der – internen – Zusammenarbeit zwischen staatlichen Einrichtungen sei und es sich im Übrigen um keinen Vertrag im Sinne des Vergaberechts handele und selbst dann, wenn der beanstandete Vertrag tatsächlich als Vertrag anzusehen sei, er aus technischen Gründen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung abgeschlossen hätte werden können.

Diese Auffassung ist von der EU-Kommission nicht geteilt worden. Sie hat daher Klage vor dem EuGH erhoben und beantragt, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 i. V. m. den Abschnitten III bis VI der Richtlinie 92/50 (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie) verstoßen hat. Weiter hat die EU- Kommission beantragt, der Bundesrepublik Deutschland die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

2. Schlussanträge des Generalanwalts

Der Generalanwalt hat sich im Wesentlichen der Auffassung der EU-Kommission angeschlossen. Er geht in seinen Schlussanträgen auf der Grundlage der „Teckal- Rechtsprechung“ des EuGH davon aus, dass die Ausnahme für eine Vergaberechtsfreiheit nicht vorliegt. So sei vorliegend die Kontrolle eines öffentlichen Auftraggebers, also der Landkreise, über eine von ihnen beherrschte Einrichtung (Stadtreinigung Hamburg) wie über ihre eigenen Dienststellen sowie auch eine wesentliche Tätigkeitsausübung dieser Einrichtung für den kontrollierenden Auftraggeber bei den rein vertraglich kooperierenden Kommunen nicht gegeben. Insoweit reiche eine vertragliche Rechtsbeziehung und eine allgemeine Berufung auf gemeinsame Ziele keineswegs aus, so dass die Landkreise im vorliegenden Fall im Ergebnis an der Stadtreinigung Hamburg keine Kontrolle wie über die eigenen Dienststellen ausüben würden.

Der Generalanwalt lehnt auch die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung als Ausnahme vom Grundsatz der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge ab. Insoweit sei kein technischer Grund im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchstabe b) der Richtlinie 92/50 gegeben, der zu einem Abweichen vom Vergaberecht führen würde.

Insgesamt schlägt der Generalanwalt daher dem EuGH vor, festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 8 i. V. m. den Abschnitten III bis VI der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge verstoßen hat, dass die betreffenden Landkreise einen Abfallbeseitigungsvertrag direkt mit der Stadtreinigung Hamburg abgeschlossen haben und dass dieser Dienstleistungsvertrag nicht im Rahmen eines offenen oder nicht offenen Verfahrens gemeinschaftsweit ausgeschrieben worden ist.

3. Anmerkung der Hauptgeschäftsstelle des Deutschen Städte- und Gemeindebundes

Die Auffassung des Generalanwalts ist nach der aktuellen formalrechtlichen Sicht und der rechtlichen Ausrichtung an der vorliegenden Rechtsprechung des EuGH zwar schlüssig; dabei ist aber zu berücksichtigen, dass die  kommunalen Spitzenverbände im Zuge der GWB-Novellierung die Forderung erhoben haben, für die Zukunft auch vertragliche Kooperationen zwischen kommunalen Gebietskörperschaften aus dem Vergaberecht herauszunehmen. In einem Entschließungsantrag vom 13. Februar 2009 hat der Bundesrat die Bundesregierung insoweit aufgefordert, auf europäischer Ebene für eine vergaberechtsfreie Lösung Sorge zu tragen.

Gegenwärtig lässt sich eine Vergaberechtsfreiheit für interkommunale Kooperationen nach der Rechtsprechung nur dann erreichen, wenn sich die betreffenden Kommunen institutionell zusammenschließen und etwa die Aufgabe der Abfallentsorgung gemeinsam in der Form des Zweckverbandes durchführen. In diesem Fall hat sowohl die nationale Rechtsprechung (OLG Düsseldorf) als auch der EuGH (Rechtssache „Coditel“) anerkannt, dass eine vergaberechtsfreie Kooperation vorliegt.

(Quelle: DStGB Aktuell 0909)