Mitteilungen 03/2008, Seite 140, Nr. 71

Stellungnahme zur Volksinitiative „Kostenlose Schülerbeförderung ist machbar!“


Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg hat im Rahmen der Anhörung im Hauptausschuss des Landtages vom 3. April 2008 folgende Stellungnahme abgegeben:

„Anrede,

für die Gelegenheit zur Stellungnahme zur Volksinitiative „Kostenfreie Schülerbeförderung ist machbar!“ im Hauptausschuss des Landtages Brandenburg danken wir Ihnen. Gern gehen wir auf Grundsätze der von Ihnen aufgeworfenen Fragen ein und nehmen diese zum Anlass für einige grundlegende Anmerkungen zu den in den zurückliegenden Monaten diskutierten Handlungsoptionen im Bereich der Schülerbeförderung.

Die Volksinitiative hat eine Debatte darüber in Gang gesetzt, ob und inwieweit die gegenwärtige Situation der Schülerbeförderung im Land Brandenburg erneut Anlass zu Veränderungen der Rahmenbedingungen gibt. Dabei ist insbesondere deutlich geworden, dass die Befunde regional sehr unterschiedlich ausfallen. So lassen sich die seitens der Initiatoren für den ländlich geprägten Prignitzer Raum herausgestellten Handlungsbedarfe nicht ohne weiteres auf den Berlin nahen Raum übertragen. Darüber hinaus gestaltet sich auch die Situation in den kreisfreien Städten völlig anders. Vor diesem Hintergrund wird die Volksinitiative seitens der Kommunen mit Aufmerksamkeit, aber auch mit großer Besorgnis etwaiger Versprechen des Landes zulasten der Kommunen verfolgt.

Angesichts dessen bedurfte es von Beginn an der Klarstellung, dass die Aufhebung der Beitragspflicht nur dann tatsächlich zu den erwünschten finanziellen Entlastungen der Schüler bzw. Eltern führen wird, wenn die Landkreise und kreisfreien Städte über den formal-gesetzlich neu eröffneten Gestaltungsspielraum durch entsprechende Landeszuschüsse in die Lage versetzt werden, von diesem auch tatsächlich Gebrauch zu machen.

Ohne hinreichende finanzielle Anstrengungen seitens des Landes ist zu befürchten, dass sich das Ergebnis der Volksinitiative darin erschöpfen wird, dass allein unangemessener politischer Handlungsdruck auf die Landkreise und kreisfreien Städte entsteht, dem sie jedoch angesichts ihrer überwiegend defizitären Haushalte gleichwohl nicht entsprechen können. Eine rein formale Anerkennung der Volksinitiative, die nicht konsequenterweise in angemessene Finanzhilfen seitens des Landes mündet, würde zu einem erneuten Vertrauens- sowie Politikverdruss führen.

Die enormen finanziellen Anstrengungen der kreisfreien Städte, der Landkreise und damit auch der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in den zurückliegenden Jahren sind Beleg für die hohe Verantwortung und das große Interesse der kommunalen Ebene an einer attraktiven Schullandschaft, die durch eine angemessene Schülerbeförderung in Anspruch genommen werden kann. Gleichwohl sind seit dem Rückzug des Landes an der Beteiligung  der Kosten der Schülerbeförderung dem Gestaltungsspielraum der Kommunen Grenzen gesetzt, die nur durch entsprechende Finanzhilfen des Landes wieder aufgehoben werden können.

Zur Vermeidung von erneuten enttäuschten Erwartungen der Eltern sollten vorübergehende Zugeständnisse im Zusammenhang mit den bevorstehenden Kommunalwahlen jedenfalls ausgeschlossen werden, soweit sie nicht dauerhaft zu finanzieren sind. Es kommt hinzu, dass derzeit nicht absehbar ist, wie die Kommunalaufsicht auf entsprechende Beschlüsse in Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen reagieren wird, sofern sich die jeweiligen Kommunen in der Haushaltssicherung befinden. Und das sind immerhin alle 4 kreisfreien Städte und 10 der 14 Landkreise!  Die Landespolitik hat es in der Hand, diesbezüglich einen entscheidenden Beitrag zu leisten und auf diesem Wege dem Grundanliegen der Volksinitiative Rechnung zu tragen. Diese politisch begründete Verantwortung gilt völlig unabhängig von der rechtlich zu beurteilenden Frage, ob und inwieweit das strikte Konnexitätsprinzip des Art. 97 Landesverfassung Anwendung findet, sofern der Landtag die durch die Volksinitiative – in dieser oder in ggf. erweiterter Form - angestrebte Gesetzesänderung beschließt.

Der Entschluss der Koalitionsfraktionen, den Landkreisen und kreisfreien Städten insgesamt 4 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen, wird als erster Schritt in die richtige Richtung begrüßt. Es wird jedoch deutlich zu kommunizieren sein, dass diese Mittel nicht ausreichen werden, um landesweit spürbare Entlastungen zugunsten der Eltern herbeizuführen.

Eine kostenfreie Schülerbeförderung ist damit jedenfalls nicht realisierbar, allenfalls leichte Reduzierungen des Eigenanteils der Eltern. Die Mittel sollten vorrangig für Entlastungen von Eltern mit niedrigen Einkommen eingesetzt werden, die nicht an den bereits heute - jedenfalls in den kreisfreien Städten und den überwiegenden Landkreisen - vorgesehenen Kostenbefreiungen für Empfänger von Leistungen nach SGB II und SGB XII partizipieren!

Nach unserem Dafürhalten sollte es den Trägern der Schülerbeförderung frei stehen, die in Aussicht genommenen Mittel auch für andere Optimierungsmaßnahmen in der Schülerbeförderung zu verwenden. So ist im Zuge der Volksinitiative auch unterstrichen worden, dass einige Eltern eine Optimierung der Fahrzeiten für wichtiger erachten, als eine Reduzierung oder gar kostenfreie Gestaltung der Schülerbeförderung. In diesem Zusammenhang sind vereinzelt lange Wartezeiten vor Schulbeginn, aber überwiegend nach Schulschluss, vorgetragen worden. Neben den im ländlichen Raum erheblich verlängerten Schulwegen infolge von Schulschließungen kann dies die strukturelle Benachteiligung der dortigen Fahrschüler verstärken, weil aufgrund der Fahrzeiten für außerschulische, soziale, musische, sportliche oder sonstige Freizeitaktivitäten per se weniger Zeit am Tag zur Verfügung steht, als in städtischen Gebieten.

Insofern appellieren wir an die Verantwortung der Landesregierung für den Erhalt attraktiver und lebenswerter ländlicher Räume und  - damit einhergehend – für homogene Bildungschancen und gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben aller brandenburgischen Schüler, unabhängig von deren Wohnort. Dies hat der Städte- und Gemeindebund seit jeher im Zusammenhang mit den zahlreichen Schulschießungen im Lande betont und vor diesem Hintergrund im Rahmen der für das Schuljahr 2008/2009 vorgesehenen Novellierung der Verwaltungsvorschriften Unterrichtsorganisation die Festlegung von maximalen Schulwegentfernungen und maximalen Schulwegzeiten gefordert, wie sie in anderen Bundesländern seit längerem übliche und bewährte Grundlage von Schulentwicklungsplanungen und Entscheidungen zur Klassenbildung sind (vgl. mitteilungen 02/2008, S. 68ff.).
Die Landesregierung, die durch Schulschließungen einer zunehmenden Anzahl von Schülern unangemessen lange Schulwege zumutet, steht in der Pflicht, die daraus resultierenden Folgelasten im Bereich der Schülerbeförderung in den ländlich geprägten Gebieten zu kompensieren. In diesem Zusammenhang interessiert uns auch ein vergleichender Überblick dazu, in welchem Maße zwischen den Schulen und Verkehrsunternehmen Verabredungen zu einer verbesserten Koordinierung von Schul- und Fahrzeiten (Ankunftszeiten an den nacheinander angefahrenen Schulstandorten sowie dementsprechend versetzter Schulbeginn an den Schulen etc.) getroffen werden.

Gegenüber diesen Optimierungswünschen hinsichtlich der Fahrzeiten ist in den kreisfreien Städten und den überwiegenden Landkreisen aufgrund von bereits vorhandenen Ermäßigungs- und Erlassregelungen (z.B. für Empfänger von Leistungen nach SGB II und SGB XII) die Frage der konkreten Kostenverteilung zwischen Elternschaft und den Trägern der Schülerbeförderung kaum streitbefangen. In den kreisfreien Städte steht den Schülern ein annehmbares Netz des öffentlichen Nahverkehrs für ihren gesamten Alltag - Aktivitäten am Nachmittag und Abend, am Wochenende und in den Ferien eingeschlossen - zu günstigen Fahrpreisen  zur Verfügung. Für die kreisfreien Städte zeichnen sich deshalb andere, aber ebenso zwingende Bedarfe ab, denen mit Landesmitteln zumindest teilweise entsprochen werden kann.

Aus diesem Grund sollte das Land den Landkreisen und kreisfreien Städten einen größtmöglichen Gestaltungsspielraum für eine konkrete Mittelverwendung einräumen, die für die Bürger und kommunalen Entscheidungsträger Maßnahmen ermöglicht, die vor Ort als prioritär empfunden werden. Bei allem Schwung und allen Hoffnungen, die die Initiative auch im Zuge der medialen Öffentlichkeit erfahren bzw. ausgelöst hat, sollte verstärkt auf eine realistische Erwartungshaltung hingewirkt werden. 4 Millionen Euro sind im Vergleich zu den Gesamtausgaben der Kommunen im Bereich der ohnehin defizitär bewirtschafteten Schülerbeförderung eine Summe, die weder hinsichtlich einer Reduzierung der Elternbeiträge, noch hinsichtlich einer Optimierung der Fahrzeiten deutlich spürbare Verbesserungen ermöglicht. Vor diesem Hintergrund gewinnt eine weitestgehend lokale Entscheidungsfindung über den Mitteleinsatz an Bedeutung, um höchstmögliche Effizienz und Bedarfsorientierung zugunsten der Eltern zu erreichen.

Sofern in der Sitzung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Sport in der Anhörung am 14.2.2008 zur Finanzierung einer kostenfreien Schülerbeförderung kurzerhand eine Erhöhung der Kreisumlage thematisiert worden ist, betrachten wir dies als unsachlich. Die Städte, Gemeinden und Ämter des Landes Brandenburg sind keine "Verschiebebahnhöfe" für Finanzlasten infolge von Versprechungen Dritter - eine Rolle, die den Städten und Gemeinden in kurzsichtigen Gedankenspielen bedauerlicherweise auch an anderer Stelle geradezu reflexartig zugedacht wird, vor der sie aber aus bekannten Gründen mit verfassungsrechtlich garantierten Rechten geschützt sind.

Sofern eine Sozialstaffelung der Elternanteile nach Einkommen diskutiert wird, halten wir fest, dass eine diesbezügliche gesetzliche Verpflichtung der Träger der Schülerbeförderung durch Ergänzung des § 112 BbgSchulG nicht für erforderlich erachtet wird. Eine solche Staffelung könnte zwar einen Beitrag zu einer im Verhältnis des jeweiligen Einkommens besseren Vergleichbarkeit der Finanzbelastung unter den Eltern führen. Der Solidargedanke könnte durch eine verbesserte Lastenverteilung zwischen den einzelnen Haushaltssituationen der Eltern gestärkt werden.
Nach unserer Einschätzung sollten entsprechende Überlegungen jedoch in das Ermessen der Träger der Schülerbeförderung gestellt werden. Auf kommunaler Ebene können langjährige Erfahrungen zu sozial gestaffelten Elternbeiträge in anderen Bereichen, z.B. der Kindertagesbetreuung, fruchtbar gemacht werden. Unabhängig davon liegt der damit verbundene erhöhte Verwaltungsaufwand der Kommunen auf der Hand, der im Falle einer diesbezüglichen Änderung des § 112 BbgSchulG zur Anwendung des strikten Konnexitätsprinzips und somit zu einer entsprechenden finanziellen Ausgleichspflicht des Landes zwingend führt.

Auch belegen die aktuellen Schülerbeförderungssatzungen z. B. der kreisfreien Städte, dass die Städte schon heute ein sehr gutes Augenmaß für Regelungen haben, die eine soziale Ausgewogenheit der Eigenbeteiligung der Eltern gewährleisten. So sind unter anderem Sondertarife bzw. Erlassregelungen für Empfänger von Leistungen nach SGB II und SGB XII, für Familien mit mehreren Kindern sowie Härtefallregelungen vorgesehen.

Wir beschränken uns insoweit auszugsweise auf einige Beispiele:
In der Stadt Cottbus sind Empfänger von Leistungen nach SGB II und SGB XII von der Zahlung des Eigenanteils befreit. Ebenfalls befreit sind Schüler, die aufgrund ihrer Behinderung auf die Nutzung des Schülerspezialverkehrs angewiesen sind. Insgesamt haben derzeit ca. 2.200 Schüler der Stadt Cottbus Anspruch auf  ermäßigte bzw. kostenlose Schülerjahres- bzw. Schülermonatskarten. Davon haben nur ca. 1.200 Schülerinnen und Schüler eine Schülerjahreskarte erworben. Die restlichen Antragsteller haben zum größten Teil nur Schülermonatskarten über die Wintermonate (Oktober/November – März/April) erworben, da sie sonst z. B. mit dem Fahrrad zur Schule fahren. 331 der 2.200 Antragsteller beziehen Leistungen nach SGB II oder XII und sind somit von der Zuzahlung des Eigenanteils befreit. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, mit dem Verkehrsunternehmen einen Abo-Vertrag für eine Schülerjahreskarte abzuschließen, sofern der Eigenanteil für die Schülerjahreskarte nicht in einer Summe beglichen werden kann. Diese kostet 270,00 €. Es sind 10 Monatsraten á 16,20 € (60 % von 270,00 €) an das Verkehrsunternehmen zu zahlen.
Die Stadt Frankfurt (Oder) praktiziert eine Staffelung nach der Anzahl der schulpflichtigen Kinder eines Haushaltes. Danach beträgt der Eigenanteil für das erste schulpflichtige Kind 50 % der Kosten einer Jahres- bzw. Monatskarte, für das zweite schulpflichtige Kind 30 % der Kosten einer Jahres- bzw. Monatskarte. Entrichtet ein Haushalt bereits für zwei Kinder Eigenanteile, so sind alle weiteren Kinder von der Zahlung des Eigenanteils befreit. Für Schüler und Auszubildende mit einer Ausbildungs- oder Arbeitsvergütung ist eine Staffelung nach der Höhe des monatlichen Bruttoeinkommens vorgesehen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Regelungen, die eine Befreiung von der Zahlung des Eigenanteils vorsehen. Dies gilt für den Fall, dass der Schulträger den Besuch der nächsterreichbaren und zuständigen Schule nicht ermöglichen kann. Der Eigenanteil kann ferner erlassen werden, wenn die Erhebung von Eigenanteilen aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse der Personensorgeberechtigten oder des volljährigen Schülers eine unbillige Härte darstellen würde. Diese wird insbesondere dann angenommen, wenn Leistungen nach SGB II oder SGB XII bezogen werden. Gleiches gilt, sofern aufgrund des Einkommens nachgewiesen wird, dass durch Eigenanteile die Personenberechtigten oder volljährigen Schüler sozialhilfebedürftig würden.

Diese Beispiele sind Ausdruck für das hohe soziale Verantwortungsbewusstsein der Städte, dem sie trotz der angespannten kommunalen Haushaltsnotlagen zum Wohle ihrer Einwohner aus eigenem Antrieb gerecht werden. Aus diesem Grund sind die bisweilen verkündeten pauschalen Ratschläge zu einer sozialen Dimension in der Bemessung des Eigenanteils der Eltern in den kreisfreien Städten auf Unverständnis und Kritik gestoßen.

Ergänzend halten wir fest, dass nach unseren Erkenntnissen eine signifikante oder gar besorgniserregende Tendenz zum „privaten“ Schülerverkehr als Folge einer als zu teuer empfundenen öffentlichen Schülerbeförderung nicht zu verzeichnen ist.   

Abschließen möchten wir mit zwei Hinweisen zu von Ihnen aufgeworfenen Fragen bezüglich der rechtlichen und finanziellen Folgen der Volksinitiative sowie einer diesbezüglichen Zustimmung des Landtages eingehen:

Zum einen machen wir darauf aufmerksam, dass der Landesverfassungsgeber in Art. 76 Abs. 2 der Landesverfassung eine Ausschlussklausel für Volksinitiativen „zu Abgaben“ enthält. In der öffentlichen Diskussion ist zwar das Verbot von Volksinitiativen „zum Landeshaushalt“ thematisiert worden. Die auf den Landeshaushalt bezogene Regelung war Veranlassung für die Initiatoren, vom Vorschlag einer Gesetzesänderung Abstand zu nehmen, die den Landkreisen und kreisfreien Städten eine kostenfreie Gestaltung der Schülerbeförderung pflichtig auferlegt. Hintergrund war die in einem solchen Fall evident eintretende Konnexitätspflicht des Landes.
Der für die kommunale Ebene jedoch besonders bedeutsame substanzielle Anwendungsbereich des Art 76 Abs. 2 Landesverfassung bezüglich der (Kommunal-)abgaben, zu denen die Eigenanteile der Eltern an den Kosten der Schülerbeförderung zählen, ist demgegenüber unseres Erachtens bislang völlig unberücksichtigt geblieben. Anderenfalls hätte der Hauptausschuss des Landtages von der Feststellung der Zulässigkeit der Volksinitiative abgesehen bzw. absehen müssen! Denn die Volksinitiative „Kostenlose Schülerbeförderung ist machbar!“ ist gemäß Art. 76 Abs. 2 LV i.V.m. dem gleichlautenden Art. 5 Abs. 2 VAGBbg (Volksabstimmungsgesetz) unzulässig. Hiergegen kann nicht eingewandt werden, Ziel der Initiative sei es lediglich, den Landkreisen und kreisfreien Städten die Option einzuräumen, künftig von der Erhebung von Eigenanteilen abzusehen. Gleichwohl solle es diesen unbenommen bleiben, in unverändertem Maße Eigenanteile zu erheben. Maßgeblich ist allein, dass – wie hier - Gegenstand der mit der Volksinitiative begehrten Gesetzesänderung abgabenrelevante Sachverhalte und Entscheidungsprozesse sind. Eine teleologische Auslegung des Verfassungsgrundsatzes zwingt deshalb zu der Annahme, dass gegen das Verbot einer Volksinitiative „zu Abgaben“ bereits dann verstoßen wird, wenn den Kommunen völlig neue Entscheidungsprozesse bezüglich der Erhebung von Abgaben aufgedrängt werden; unabhängig davon, wie diese Entscheidungen im Einzelfall ausfallen werden.
Die Bedeutung dieser Ausschlussklausel für die Sicherstellung der kommunalen Finanzhoheit ist jüngst in einer Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofes vom 5.12.2007 mit Blick auf die wortgleiche Regelung in Art. 82 Abs. 2 ThürVerf unterstrichen worden. Der Verfassungsgerichtshof hat in dieser Entscheidung die Volksinitiative „Für eine bessere Familienpolitik in Thüringen“ für unzulässig erklärt (VerfGH 47/06).

Zum anderen ist festzuhalten, dass das strikte Konnexitätsprinzip des Art. 97 Abs. 3 Satz 2 und 3 LV einer Streichung des § 112 Abs. 1 Satz 3 entgegensteht. Der Gesetzgeber hat die in § 112 Abs. S. 3 BbgSchulG enthaltene Verpflichtung zur Einnahmeerzielung durch das Gesetz zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 04.06.2003 geschaffen, um seiner damaligen Konnexitätspflicht zu entsprechen. Die Eröffnung von neuen Einnahmemöglichkeiten für die Kommunen ist bekanntlich eine sich dem Gesetzgeber eröffnende Option, um die verfassungsrechtlich geforderte Kostenerstattung konkret auszugestalten. Macht der Gesetzgeber hiervon Gebrauch, ist er an diese Entscheidung gebunden. Denn die in Art. 97 Abs. 3 LV geforderte Kostendeckung stellt kein einmaliges Ereignis, sondern einen fortlaufenden Prozess dar (BbgLVerfG, U. v. 18.12.1997, 47/96, LKV 1998, 159). Konnexität bedeutet gesetzgeberische Daueraufgabe. Denn die übertragene Aufgabe erledigt sich nicht mit dem Übertragungsakt, sondern zieht fortlaufende Kosten für die Gemeinden nach sich. Kostenbelastend wirkt bekanntlich nicht der Übertragungsakt, sondern die fortlaufende Bewältigung der Aufgabe. Den Gesetzgeber trifft also im Nachgang nicht nur eine Kostenbeobachtungspflicht, sondern auch das Gebot, die zum Zwecke der Erfüllung seiner Konnexitätspflicht einmal geschaffenen gesetzlichen Verpflichtungen zur Einnahmeerzielung fortdauernd aufrechtzuerhalten. Diese Form des Bestandsschutzes von gesetzlichen Ausgleichsregelungen gilt für § 112 Abs. 1 Satz 3 BbgSchulG gleichermaßen und ohne Abstriche.    
Eine Revidierung der damaligen Entscheidung des Landesgesetzgebers mag daher allenfalls unter der Maßgabe verfassungsrechtliche Zweifel auszuräumen, dass der damalige Status Quo in der Finanzausstattung der Kommunen im Bereich der Schülerbeförderung wiederhergestellt wird.
Unabhängig davon halten wir fest, dass allein in den kreisfreien Städten bei Wegfall aller Elternbeiträge zum gegenwärtigen Zeitpunkt Einnahmeverluste in Höhe von ca. 6 Millionen € zu verzeichnen wären. Es kommt hinzu, dass im Falle einer kostenfreien Gestaltung der Schülerbeförderung, aber auch im Falle reduzierter Elternbeiträge, mehr Schüler den öffentlichen Schülerverkehr, aber auch den damit „freigestellten“ ÖPNV, besonders in Ballungsräumen, für völlig persönliche Zwecke in Anspruch nehmen werden. Darüber hinaus werden Anreize für die Anwahl entfernt liegender Schulen gesetzt, die wiederum zu einer Kostensteigerung führen würden. Diese Faktoren sind in der genannten Summe noch nicht berücksichtigt, da diese allein auf den Einnahmen unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen beruhen. In den Landkreisen wird der Kostensteigerungseffekt freilich deutlich höher mit der Folge ausfallen, dass wiederum auch hier die Gemeinden die Mehrbedarfe der Landkreise über die Kreisumlage refinanzieren sollen.
Ein weiterer Gedanke sei auch den kommunalen Verkehrsunternehmen gegönnt – wer wird den zusätzlichen Anforderungen dort gerecht werden können? Dieses auch mit Blick auf die immer wieder aufkommende Debatte, „Private können es besser“; ohne ausreichende und auskömmliche Finanzierung eine Illusion – für private oder öffentliche Unternehmen. Richtig ist, dass die Problematik Schülerbeförderung in ländlichen Räumen in den Blick zu nehmen ist – aber bitte nicht: kostenfrei und für jeden und allerorten.

Mit freundlichen Grüßen

Böttcher“

Der Hauptausschuss des Landtages hat im Ergebnis der Anhörung dem Landtag empfohlen, der Volksinitiative „Kostenlose Schülerbeförderung ist machbar!“ zuzustimmen.

Ziel der Volksinitiative ist eine Aufhebung der den Trägern der Schülerbeförderung obliegenden Pflicht, eine angemessene Kostenbeteiligung der Schüler bzw. Eltern sicherzustellen. Diese in § 112 Abs. 1 Satz 3 BbgSchulG zwingend vorgesehene Einnahmepflicht, die durch das Gesetz zur Entlastung der Kommunen von pflichtigen Aufgaben vom 04.06.2003 eingeführt worden ist, soll gestrichen werden. Damit soll den Landkreisen und kreisfreien Städten künftig freigestellt sein, ob eine Elternbeteiligung erfolgen soll. Gleichwohl wäre die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Satzungsregelungen rechtlich möglich. Auslöser der Volksinitiative war die im Wege der Ersatzvornahme durch das Ministerium des Innern im letzten Jahr gegenüber dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin durchgesetzte Beitragserhebung, nachdem der Kreistag die Kostenfreiheit der Schülerbeförderung für die Schüler und Eltern beschlossen hatte, obwohl der Landkreis einen hochdefizitären Haushalt im zweistelligen Millionenbereich, trotz ständig steigenden Kreisumlageaufkommens, aufweist.

Die Volksinitiative wurde am 12.12.2007 dem Landtag übergeben. Der Landesabstimmungsleiter stellte 23.305 Eintragungen vollständig den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Unterschriften fest. Der Hauptausschuss des Landtages kam am 17.01.2008 zu dem Ergebnis, dass die förmlichen Voraussetzungen und die Zulässigkeit der Volksinitiative gegeben sind. Die Vertreter der Volksinitiative sind am 14.02.2008 im Bildungsausschuss des Landtages angehört worden. Die bis Mitte März angekündigte Stellungnahme des Bildungsausschusses ist daraufhin mehrmals verschoben worden und liegt uns nach wie vor nicht vor.

Die Regierungskoalition verständigte sich bereits am 14.03.2008 in ihrem „Maßnahmepaket Familie, Bildung und Mobilität“ unter anderem darauf, die Volksinitiative anzuerkennen und die rechtlichen Voraussetzungen für die Schülerbeförderung zu novellieren. Neben dem Wegfall der Beitragserhebungspflicht wurde vereinbart, das Schulgesetz – für den Fall, dass Gebühren erhoben werden – um eine pflichtige Sozialstaffelung zu ergänzen. Ziel solle eine Entlastung gering verdienender Familien sein. Darüber hinaus verständigte man sich auf Finanzhilfen seitens des Landes an die Landkreise und kreisfreien Städte, zunächst für das Jahr 2009 in Höhe von 4 Millionen €.  

Aus kommunaler Sicht war in der Anhörung auf die politische und rechtliche Verantwortung des Landes hinzuweisen, eine auskömmliche Finanzausstattung der Träger der Schülerbeförderung verbindlich und nachhaltig abzusichern.
Intensiv und kontrovers ist in diesem Zusammenhang diskutiert worden, ob vor dem Hintergrund des geschichtlichen „Werdegangs“ des § 112 Abs. 1 Satz 3 BbgSchulG die Konnexitätspflicht des Landes gemäß Art. 97 LV begründet wird. Nach Auffassung des Parlamentarischen Beratungsdienstes des Landtages, der sich im Auftrag der SPD-Landtagsfraktion mit dieser Frage befasst hat, sei dies – entgegen der von beiden kommunalen Spitzenverbänden sowie der Fraktion DIE LINKE vertretenen Auffassung – nicht der Fall.
Neben den von uns für die kreisfreien Städte insgesamt auf ca. 6 Millionen € prognostizierten Mehrbelastungen im Falle der Einführung einer landesweiten Kostenfreiheit ist seitens des Landkreistages eine voraussichtliche Mehrbelastung der Landkreise in Höhe von bis zu 20 Millionen € angegeben worden.
Seitens des Landeselternrates ist unterstrichen worden, dass Kostenfreiheit nicht vorrangiges Anliegen der Eltern sei. Eine soziale Staffelung der Elternanteile sei überwiegend gegeben und werde insbesondere dort als angemessen empfunden, wo das Angebot über den reinen Schülertransport hinausgehe und Teilhabe an weiteren außerschulischen Angeboten und Freizeitaktivitäten ermögliche. Handlungsbedarf werde primär bezüglich der Koordinierung der Schülerbeförderung im ländlichen Raum gesehen, wo die Kostenbeteiligung unter Verweis auf gleichberechtigte Bildungschancen und das Recht auf Bildung von einer Mehrheit der Eltern als unzumutbar empfunden werde.   
Unsererseits wurde in der Anhörung nochmals verdeutlicht, dass nicht nur die kreisfreien Städte und Landkreise zusätzlich und unvertretbar finanziell belastet würden, sondern ebenso die kreisangehörigen Städte und Gemeinden, die jetzt schon mit erneut steigenden Kreisumlagen zwischen 3 und 11 Millionen € für 2008 belastet würden.
Bestätigt durch Angaben des Verkehrsverbundes Berlin-Brandenburg wurde auch darauf verwiesen, dass der Elternanteil für die Kosten der Schülerbeförderung lediglich ca. 20 % betrage und landesweit soziale Staffelungen bis hin zu Kostenbefreiungen gängige Praxis seien. Zumindest in den kreisfreien Städten und Ballungsräumen bestünde überhaupt kein Bedarf weiterer Elternbeitragsentlastungen, die hier zu einer unverhältnismäßigen kostenfreien Nutzung der kommunalen Nahverkehre zu persönlichen Zwecken führen würde. Wenn überhaupt, sollten die nur begrenzt zur Verfügung stehenden Landesmittel für die ländlichen Räume im Sinne einer „Entfernungspauschale“ eingesetzt werden.

Bianka Petereit, Referatsleiterin

Az: 200-22