MITTEILUNGEN 01/2007, Seite 25, Nr. 6

Forderungen an die deutsche EU-Ratspräsidentschaft

Das Präsidium des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, in dem unser Landesverband durch Herrn Präsidenten Werner Große und Herrn Geschäftsführer Karl-Ludwig Böttcher vertreten sind, hat mit Beschluss vom 21. November 2006 zehn zentrale Forderungen der Städte und Gemeinden an die Europäische Union und die deutsche EU-Ratspräsidentschaft formuliert, die wir nachfolgend abdrucken:

„1. Europäischen Verfassungsvertrag verwirklichen!

Der Entwurf eines EU-Verfassungsvertrages stellt einen wichtigen Schritt in Richtung mehr Bürgernähe und Transparenz in Europa dar. Er würde nicht zuletzt den Städte und Gemeinden eine stärkere Rolle in der EU geben und die Mitwirkungsmöglichkeiten der Kommunen verbessern, zum Gelingen des Europäischen Aufbauwerkes beitragen zu können. Die Bundesregierung muss im Rahmen ihrer EU-Ratspräsidentschaft einen Weg finden, den Europäischen Verfassungsprozess erfolgreich abzuschließen.

2. Kommunales Selbstverwaltungsrecht in Europa absichern!

Wir erleben eine zunehmende Europäisierung der kommunalen Selbstverwaltungstätigkeit. Es gibt in ganz Deutschland keine Stadtratssitzung mehr, in der nicht mindestens ein Tagesordnungspunkt behandelt wird, der durch die EU beeinflusst ist. Das zeigt: Das kommunale Selbstverwaltungsrecht muss nach Europa gebracht werden. Und umgekehrt muss Europa auch in die Kommunen gebracht werden. Es geht aber nicht nur um den Einfluss der EU auf die kommunale Ebene. Die Vielfältigkeit dieser Beziehungen zeigt nämlich auch, dass die Mehrzahl der politischen Zielsetzungen der EU nicht ohne, geschweige denn gegen die Kommunen verwirklicht werden kann. Die Kommunen müssen als vollwertige Partner in Europa anerkannt werden. Die Bundesregierung muss einen Weg finden, das kommunale Selbstverwaltungsrecht in der EU effektiv zu schützen.

3. Kommunale Spitzenverbände in EU-Angelegenheiten wirksam beteiligen!

Die Städte und Gemeinden fordern eine nachhaltige und effiziente Beteiligung bei allen kommunalrelevanten EU-Vorhaben, auf der Ebene des Bundes vor allem durch frühzeitige und effektive Anhörungen durch den Bundestag, die Bundesregierung und den Bundesrat. Der im Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in EU-Angelegenheiten gesetzlich festgelegte Schutzauftrag des Bundes und der Länder bei EU-Vorhaben für die Belange der Gemeinden und Gemeindeverbände muss endlich beachtet und nachprüfbar umgesetzt werden.

4. Europas Recht besser machen – Gesetzgebungsfolgen abschätzen und Kosten ausgleichen!

Zur Verbesserung der europäischen Gesetzgebung gehört vor allem eine wirksame Gesetzfolgenabschätzung, in wirtschaftlicher, finanzieller, sozialer und politischer Hinsicht sowie im Hinblick auf die tatsächliche Leistbarkeit bei der Umsetzung in den Kommunen vor Ort (Beispiel: EU-Feinstaub- sowie EU-Umgebungslärmrichtlinie).
Die EU sollte mehr Mut haben, Gesetze für eine befristete Zeit zu beschließen und ihre Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit nach Ablauf der Frist kritisch zu hinterfragen.
Kostenfolgen der Städte und Gemeinden durch die Umsetzung und Verwirklichung von EU-Vorgaben müssen vollständig im Rahmen des Konnexitätsprinzips ausgeglichen werden.

5. Vorschriften abbauen und vereinfachen – Subsidiaritätsprinzip beachten!

Der dichte Vorschriftendschungel auf der nationalen Ebene wird durch EU-Vorgaben noch unübersichtlicher. Der auf EU-Ebene eingeschlagene Weg des Rückbaus und der Vereinfachung des Rechts muss entschlossen und zielstrebig fortgesetzt werden. Der Bund ist aufgefordert, diesen Prozess nachhaltig zu forcieren. Die EU-Kommission wird aufgefordert, dass Subsidiaritätsprinzip, wonach die Mitgliedstaaten sowie die Städte und Gemeinden in ihren eigenen Verantwortungsbereichen zur selbständigen Gestaltung ihrer Belange berechtigt sind, zu beachten. Hiermit nicht in Einklang steht, dass die EU das EU-Primärrecht mit seinen Vorgaben nach Transparenz und Nichtdiskriminierung zunehmend – wie bei der jüngsten Kommissionsmitteilung für die Vergabe kleinerer kommunaler Aufträge – dazu benutzt, ihre Kompetenzen in Widerspruch zum Subsidiaritätsprinzip auszudehnen.

6. Kommunale Daseinsvorsorge absichern – Örtliche Handlungs- und Entscheidungsspielräume respektieren!

Die örtliche Daseinsvorsorge hat zentrale Bedeutung für Gesellschaft, Wirtschaft und Bürger. Die Definitions- und Organisationshoheit für die Aufgaben der Daseinsvorsorge liegt bei den Mitgliedstaaten. Die Europäische Union wird aufgefordert, diese Organisationshoheit zu respektieren. Eine Ausdehnung des Wettbewerbsrechts im Sinne des EU-Binnenmarktmodells auf die lokale Ebene lehnen wir ab.

7. Kommunale Organisationshoheit schützen – Interkommunale Zusammenarbeit vom EU- Vergaberecht freistellen!

Interkommunale Zusammenarbeit beinhaltet als bewusste Alternative zur Privatisierung öffentlicher Aufgaben eine hoch effiziente Möglichkeit für die Städte und Gemeinden, gegenüber ihren Bürgern und Bürgerinnen ein breites Dienstleistungsspektrum in eigener Verantwortung vorzuhalten. Die Gemeinden sind staatliche Einheiten Deutschlands und ihre Selbstverwaltung gehört zur Identität des deutschen Staates, die die EU zu achten hat. Die interkommunale Aufgabenwahrnehmung ist Ausfluss der kommunalen Organisationshoheit. Sie wird jedoch durch eine von den EU-Institutionen vorgegebene Ausschreibungspflicht immer mehr ausgehöhlt. Folge dieser EU-Vorgaben ist ein faktischer Zwang zur Privatisierung kommunaler Aufgaben. Zur weiteren Gewährleistung der interkommunalen Zusammenarbeit muss daher im EU-Recht dringend klargestellt werden, dass die reine Aufgabenübertragung funktional als Inhouse-Geschäft (Eigenleistung) anzusehen ist und damit eine dem Organisationsrecht der Städte und Gemeinden unterfallende Materie darstellt. Sie beinhaltet gerade keinen den EU-Vergaberichtlinien unterfallenden Beschaffungsvorgang.

8. Nachhaltige Stadtentwicklung in der EU-Regionalpolitik stärken – Ländlichen Raum fördern!

Die strategischen Leitlinien der EU-Kommission für die Kohäsionspolitik räumen der Europäischen Agenda für Wachstum und Beschäftigung oberste Priorität ein. Die Leitlinien legen besonderes Augenmerk auf den speziellen Bedarf städtischer und ländlicher Gebiete, um Wachstumshemmnisse zu beseitigen. Ein derartiger Ansatz zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung in der Europäischen Union ist grundsätzlich zu begrüßen. Denn Städte und Gemeinden sind allein nicht mehr in der Lage, die Herausforderungen an eine zukunftsgerechte und nachhaltige Stadtentwicklung zu bewältigen. Mit Blick auf die europäische Kohäsionspolitik muss allerdings noch deutlicher der Stellenwert und der besondere Bedarf des ländlichen Raums im Hinblick auf die Gesamtentwicklung eines Landes in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht herausgestellt werden. Die Förderung der Stadtentwicklung durch die EU darf nicht einseitig auf Metropolregionen konzentriert und nicht zu Lasten kleiner und mittlerer Städte und Gemeinden erfolgen. Eine Stärkung des ländlichen Raums, in dem in Deutschland mit ca. 70 Prozent der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt, ist daher auch auf EU-Ebene unverzichtbar.

9. Hohe Umweltqualität durch kommunale Verantwortung gewährleisten!

Die Kommunen führen in Deutschland zentrale Aufgaben im Umweltbereich, etwa bei der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung sowie im Abfallbereich, in eigener Verantwortung durch. Diese kommunale Aufgabenverantwortung hat Deutschland auch im internationalen Vergleich zu einem Land mit sehr hohen Umweltqualitäten sowie einem sehr guten Verbraucherschutz bei gleichzeitig sozialverträglichen Gebühren für die Bürger gemacht. In der hiermit verbundenen Lebensqualität ist ein wesentlicher Standortvorteil für die Städte und Gemeinden in Deutschland zu sehen. Die Europäische Union wird daher aufgefordert, die kommunale Verantwortung zu sichern und zu stärken. Hiermit nicht vereinbar sind rechtliche Vorgaben zur Liberalisierung sowie zur Zwangsprivatisierung kommunaler Aufgaben.

10. Lokale soziale Leistungen erhalten!

Es gibt für den Sozial- und Gesundheitsbereich einen europaweit gemeinsamen Sockel an Werten, Prinzipien, Rechten und Pflichten. Zunehmend wird von einem europäischen Sozialmodell gesprochen. Die zunehmende Tendenz europäischer Sozialpolitik darf nicht dazu führen, gewachsene lokale soziale Sicherungssysteme auszuhöhlen. Die Aufgaben der sozialen Daseinsvorsorge bilden einen Schwerpunkt kommunaler Aufgabenwahrnehmung. Im Sozial- und Gesundheitsbereich spricht sich der DStGB für eine Zurückhaltung der europäischen Ebene aus, um nicht die Funktionsfähigkeit dieser sozialen Daseinsvorsorge zu beeinträchtigen. Ein zentrales Anliegen der Städte und Gemeinden ist es, die sozialen Leistungsangebote an die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger auszurichten und die vielfältigen Trägerstrukturen zu erhalten. Konkret müssen die ausschließlich auf den lokalen Bereich beschränkten Sozialdienstleistungen von der Anwendbarkeit des EU-Wettbewerbsrechts ausgenommen werden.“

Az: 006-00

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