Mitteilungen 09/2008, Seite 396, Nr. 189

Überwältigende Mehrheit gegen Privatisierungen
Ergebnisse einer repräsentativen Befragung kommunaler und kommunalwirtschaftlicher Entscheidungsträger in Ostdeutschland

Eine überwältigende Mehrheit der kommunalen Amts- und Mandatsträger und der Entscheidungsträger kommunaler Unternehmen in Ostdeutschland hat sich grundsätzlich gegen die Privatisierung kommunaler Unternehmen ausgesprochen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung dieser Zielgruppe im ersten Halbjahr 2008, die das „Verbundnetz für kommunale Energie“ (VfkE) in Zusammenarbeit mit den ostdeutschen Spitzenverbänden der Städte und Gemeinden und den ostdeutschen Landesgruppen des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU) initiiert hatte.
Für die Konzipierung, Durchführung und Auswertung zeichnete die Sozialwissenschaftlerin Prof. Dr. sc. Karin Schießl aus Bernau bei Berlin verantwortlich. Nach der umfassenden Auswertung werden die Ergebnisse jetzt erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Zur Zielgruppe und zur Methodik

Befragt wurden die Oberbürgermeister, Bürgermeister und die Vorsitzenden der Stadtratsfraktionen in allen ostdeutschen Städten ab 20.000 Einwohnern. Einbezogen waren auch alle kleineren Städte soweit diese über eigene Stadtwerke verfügen. Ergänzend dazu wurden in die Erhebung auch alle Vorstände und Geschäftsführer der Stadtwerke der neuen Länder einbezogen. Damit wurde die eingangs definierte Grundgesamtheit komplett, also nicht nur nach einem statistischen Auswahlprinzip befragt.
Von den insgesamt 973 Probanden haben 38,1 Prozent den mehrseitigen Fragebogen beantwortet. Bei den Oberbürgermeistern und Bürgermeistern betrug diese Quote 41,4 Prozent, bei den Mandatsträgern 29,4 Prozent und bei den Vorständen und Geschäftsführern der Stadtwerke sogar 78,8 Prozent. Damit gelten die Ergebnisse der Befragung als statistisch gesichert und repräsentativ für die definierten Zielgruppen.

Basisstudie von Forsa aus IV/2007

Anstoß für die Erhebung bei den kommunalpolitischen und kommunalwirtschaftlichen Entscheidungsträgern in Ostdeutschland hatte eine Studie des Meinungsforschungsinstitutes Forsa gegeben. Forsa hatte im Dezember 2007 in einer repräsentativen Untersuchung die Einstellung der Bürger in Deutschland zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen untersucht. Die Ergebnisse wurden am 07. Januar 2008 der Öffentlichkeit vorgestellt. Forsa hatte die Ergebnisse seinerzeit wie folgt bewertet:

  • Die Erfahrungen der Bürger mit Privatisierungen sind eher negativ als positiv.
  • Weitere Privatisierungen werden immer kritischer gesehen.
  • Hätte die staatliche Bürokratie ein besseres Image, würde die Akzeptanz von Privatisierungen noch geringer ausfallen.

In der Forsa-Studie waren vor allem die signifikanten Ost-West-Unterschiede auffällig:

  • negativ zu Privatisierungen äußern sich deutschlandweit 50 Prozent der Befragten (positiv: 47 Prozent)
  • differenziert nach Ost und West lauten die Wertungen wie folgt:

Privatisierung negativ           Privatisierung positiv
Ost              62%                                 36%
West           47%                                 49%

Erhebliche Ost-West-Unterschiede ermittelte Forsa auch hinsichtlich zukünftiger Szenarien. Dafür, Privatisierungen wieder rückgängig zu machen, plädierten 34 Prozent der Ostdeutschen. In Westdeutschland lag dieser Anteil mit 26 Prozent deutlich niedriger.

Erstmals weiterführende Untersuchung bei kommunalen Entscheidern

Für die vertiefende Befragung des „Verbundnetz für kommunale Energie“, der ostdeutschen Spitzenverbände der Städte und Gemeinden und der ostdeutschen Landesgruppen des VKU im ersten Halbjahr 2008 leiteten sich aus der Forsa-Studie insbesondere die folgenden grundsätzlichen Fragen ab:

  • Gibt es eine Korrelation zwischen den repräsentativen Meinungsäußerungen der ostdeutschen Bürger zur Privatisierung und den Auffassungen in der ostdeutschen Kommunalpolitik und –wirtschaft?
  • Was sind die Hauptgründe für ostdeutsche Entscheidungsträger aus Kommunalpolitik und –wirtschaft für bzw. gegen Privatisierungen zu votieren?

Diese Aspekte waren zuvor noch nie Gegenstand einer repräsentativen Befragung bei kommunalpolitischen und kommunalwirtschaftlichen Entscheidungsträgern. Als Zielgruppe definiert wurden Entscheidungsträger aus Städten Ostdeutschlands mit relevanter kommunalwirtschaftlicher Betätigung aus den Bereichen Kommunalpolitik und –wirtschaft. Für die kommunalen Unternehmen wurden die Vorstände/Geschäftsführer der Stadtwerke exemplarisch für die Gesamtheit der kommunalen Unternehmen im Bereich der Städte und Gemeinden befragt.

  • Oberbürgermeister und Bürgermeister aus allen Städten ab 20.000 Einwohner (110)
  • Oberbürgermeister und Bürgermeister aus allen Städten unter 20.000 Einwohner, mit Stadtwerken (35)
  • Alle Fraktionsvorsitzenden in den Stadträten der o. a. Städte (691)
  • Alle Vorstände/Geschäftsführer der Stadtwerke (137), wobei sich die Differenz zu Kommunen und Stadtwerken daraus ergibt, dass nicht in allen Städten ab 20.000 Einwohner auch Stadtwerke existieren.

Wesentliche Ergebnisse

Grundsätzlich gegen den Verkauf kommunaler Unternehmen – und hier nicht nur insgesamt, sondern auch von Anteilen – votierten in der VfkE-Untersuchung 69,8 Prozent. Bei den einzelnen Probandengruppen gab es kaum Unterschiede. Bei den Oberbürgermeistern und Bürgermeistern betrug die Nein-Quote 68,3, bei den Fraktionsvorsitzenden 70,4 und bei den Vorständen und Geschäftsführern der Stadtwerke 69,4 Prozent.

Gefragt wurde auch nach den Gründen für das Nein zu Privatisierungen. Es ergab sich folgendes Ranking:

  • Am häufigsten (19,8 Prozent der Probanden) wurde als Ablehnungsgrund der Verlust strategischer Steuerungsmöglichkeiten für die Kommune genannt.
  • Es folgte mit 17,7 Prozent die Aussage, dass die Daseinsvorsorge nur dann optimal möglich sei, wenn die Kommune uneingeschränkten Zugriff auf die Aufgabenerledigung mit eigenen Unternehmen hat.
  • 17,0 Prozent führten an, dass die Erträge kommunaler Unternehmen dem Gemeinwohl und nicht privaten Aktionären zugute kommen.
  • Dass die Kommunen bei Privatisierungen Ertragsmöglichkeiten verlieren, führten 13,4 Prozent als Begründung an.  
  • 13,1 Prozent nannten als Grund, dass die Kommune bei Privatisierungen die Möglichkeit einbüsst, mit den eigenen Unternehmen ökonomische Impulse für die Region in Gestalt von Auftragsvergaben, Ausbildung oder Arbeitsplatzsicherung zu setzen.
  • Dass nur mit kommunalen Unternehmen die Einhaltung sozialer und arbeitsrechtlicher Mindeststandards möglich sei, gaben 9,5 Prozent als Begründung an.
  • Ebenfalls 9,5 Prozent sagten, dass sich private Unternehmen weniger umfangreich gesellschaftspolitisch engagieren als kommunale Betriebe.

Auch die 30,2 Prozent der Probanden, die für Privatisierungen plädiert hatten, wurden nach den Gründen für ihr Votum befragt. Diese lauteten:

  • Private Unternehmen unterlägen keinen ordnungspolitischen Einschränkungen in erster Linie in Gestalt des Gemeindewirtschaftsrechts und könnten sich somit effizienter aufstellen (22,1 Prozent der Nennungen).
  • Kommunale Unternehmen könnten wegen der Einflussnahme durch die politischen Gremien nicht effizient geführt werden (17,3 Prozent).
  • Private Unternehmen hätten bessere Möglichkeiten, das Leistungsprinzip gegenüber den Mitarbeitern durchzusetzen (17,3 Prozent).
  • Die Privatwirtschaft habe höhere Kompetenzen auf Gebieten wie Betriebswirtschaft, Marketing und Recht (16,0 Prozent).
  • Durch die im Regelfall gegebene Einbindung der privaten Unternehmen in Konzernstrukturen hätten diese bessere betriebswirtschaftliche Bedingungen, z.B. beim Einkauf und könnten umfassend Synergiepotentiale nutzen (12,2 Prozent).
  • Die privaten Unternehmen könnten ihre Leistungen billiger anbieten (4,5 Prozent).

Eine weitere Frage betraf die Zusammenarbeit von Kommunal- und Privatwirtschaft in gemischtwirtschaftlichen Unternehmen im Rahmen sogenannter „Private-Partner-Ships“.
Hier wurden bei der Formulierung der Fragen zwei Varianten unterschieden:
Variante A, die Kommune ist Mehrheitsgesellschafter und Variante B, die Kommune ist Minderheitsgesellschafter.
Bei den Antworten zu Variante A werteten 71,0 Prozent Probanden, dass sich PPP-Unternehmen mit einer kommunalen Mehrheitsbeteiligung bewährt hätten. Bei Variante B gab es diese positive Wertung nur von 44,6 Prozent der Befragten, während 55,4 Prozent dafür votierten, die privaten Anteile zu rekommunalisieren.

Übereinstimmung zwischen Bürgervotum und den Positionen der kommunalen Entscheidungsträger

Bei ihrer Bewertung zu den Ergebnissen der Befragung hob Prof. Dr. Karin Schießl, die die Studie konzipiert, durchgeführt und ausgewertet hatte, vor allem folgende Aspekte hervor:

  • Bemerkenswert sei die starke Übereinstimmung zwischen dem Meinungsbild, das in der Forsa-Studie für die Bevölkerung Ostdeutschlands dargestellt wurde, und den Auffassungen der kommunalpolitischen und kommunalwirtschaftlichen Entscheidungsträger in den neuen Ländern. „Damit wird auch illustriert, dass die Demokratie an der kommunalen Basis - entgegen vieler Wertungen z. B. im Zusammenhang mit den geringen Beteiligungen an Kommunalwahlen im Osten - doch ganz gut funktioniert“, wertete Prof. Dr. Karin Schießl. „Wenn sich 62 Prozent der Bürger in den neuen Ländern gegen Privatisierungen aussprechen, ist zudem die Frage berechtigt, handelt es sich hier um eine Momentaufnahme oder um grundsätzliche Überzeugungen. Da Forsa die Privatisierungsfrage im Rahmen eines Langzeitmonitoring immer wieder stellt, können wir zumindest festhalten, dass die Zahl der Privatisierungsgegner – im übrigen in Ost- wie in Westdeutschland – stetig zunimmt. Dass es sich hier um einen stabilen Prozess mit einer auch gewichtigen argumentativen Basis handelt, wird durch die Befragung von VfkE, kommunalen Spitzenverbänden und dem VKU bestätigt. 
  • Für sehr aufschlussreich seien für sie die Begründungen gewesen, mit denen die fast 70 Prozent Privatisierungsgegner ihre Positionierung manifestiert hätten, sagte die Bernauer Sozialwissenschaftlerin. „Das Argument Erträge hätte man eigentlich - angesichts der strukturellen Finanzmisere der ostdeutschen Kommunen – an Nummer Eins erwarten können. Das aber landet in der Begründungshierarchie nur auf Platz 4. Davor rangieren strategische Positionen: An erster Stelle verweisen unsere Probanden auf die mit der kommunalwirtschaftlichen Betätigung verbundenen Steuerungsmöglichkeiten. Und schon an zweiter Stelle folgt die auch gesellschaftspolitisch bedeutsame Wertung, dass Daseinsvorsorge nur dann optimal möglich ist, wenn die Kommunen uneingeschränkten Zugriff auf die Aufgabenerledigung haben, und das sei nur mit eigenen Unternehmen gewährleistet“, lautet die Analyse von Prof. Dr. Karin Schießl.  
  • Dass die kommunalen Entscheidungsträger in Ostdeutschland sehr ausgewogen und sachbezogen argumentieren, macht Prof. Karin Schießl auch an den Antworten zu gemischtwirtschaftlichen Unternehmen fest. „Immerhin attestieren 71 Prozent der Befragten, dass gemeinsame Unternehmen mit Minderheitsbeteiligungen der Privatwirtschaft gut funktionieren. Offensichtlich auch deshalb, weil in dieser Konstellation die Kommunen als Mehrheitseigner wesentliche Steuerungsfunktionen behalten. Das korreliert eindeutig mit den Begründungen der Privatisierungsgegner, attestiert aber auch den privaten Partnern Kooperationsfähigkeit. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Tätigkeit von Unternehmen mit privaten Mehrheiten deutlich schlechter bewertet wird. Dass sich deshalb 55 Prozent der Befragten sogar für eine Rückübertragung der privaten Anteile an die Kommunen aussprechen, zeigt, dass der von vielen Experten vermutete Trend zur Rekommunalisierung eine reale Basis in den Bewertungen und Meinungen der zuständigen kommunalen Entscheidungsträger hat“, lautete die abschließende Wertung von Prof. Dr. Karin Schießl.

(Quelle: VfKE)

Az: 800-02

Seitenanfang