MITTEILUNGEN 08/2007, Seite 248, Nr. 154

BVerwG: Kein Verwaltungsrechtsweg bei Vergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte


In einem grundlegenden Beschluss vom 02. Mai 2007 (BVerwG 6 B 10.07) hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden, dass bei öffentlichen Auftragsvergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte (VOB: 5,278 Millionen Euro; VOL und VOF: 211 000 Euro) grundsätzlich ausschließlich der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten (Zivilgerichten) und nicht zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist. Die Entscheidung ist in die elektronische Entscheidungssammlung des BVerwG eingestellt.

Anders als die Vorinstanzen (Verwaltungsgericht Gelsenkirchen und Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen) hat das Bundesverwaltungsgericht nunmehr entschieden, dass bei Streitigkeiten im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe unterhalb der EU-Schwellenwerte hinsichtlich der Auswahl des Vertragspartners ausschließlich der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist. Damit ist eine bisher innerhalb der Oberverwaltungsgerichte unterschiedlich beurteilte Rechtsfrage nunmehr durch das höchste deutsche Verwaltungsgericht im Sinne der Auffassung des Deutschen Städte- und Gemeindebundes entschieden. In der Vergangenheit hatten insbesondere das OVG Rheinland-Pfalz und das OVG Nordrhein-Westfalen (zuletzt: Entscheidung vom 12. Januar 2007) den Verwaltungsrechtsweg auch bei Unterschwellenvergaben auf der Grundlage der so genannten „Zwei-Stufen-Theorie“ für zulässig erklärt, während etwa das OVG Berlin-Brandenburg, OVG Niedersachsen oder der VGH Baden-Württemberg den Zivilrechtsweg für gegeben erachtet haben.

Allerdings hatte bereits das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 13. Juni 2006 im Zuge der dort festgestellten Verfassungsmäßigkeit einer Beschränkung des EU-Primärrechtsschutzes auf Auftragsvergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte ausgeführt, dass der Staat bei Vergabeverfahren als Nachfrager am Wettbewerbsmarkt tätig werde und die Unterschwellenvergabe ein „Massenphänomen“ darstelle. Diese – richtige – Auffassung des Bundesverfassungsgerichts sprach bereits tendenziell gegen die Annahme des Verwaltungsrechtswegs.

Nunmehr hat auch das Bundesverwaltungsgericht als Begründung für die Annahme einer Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte ausgeführt, dass es bei der Beurteilung des zulässigen Rechtswegs immer auf die Natur des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses ankomme, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet werde. Entscheidend dafür sei, ob die Beteiligten in einem hoheitlichen Verhältnis zueinander stehen und sich daher als Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedienen. Ein solches Über- und Unterordnungsverhältnis scheide bei der Auswahl des Vertragspartners im öffentlichen Vergabeverfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte aber schon deswegen aus, weil es sich hierbei um ein Gleichordnungsverhältnis handele.

Insofern bewege sich die öffentliche Hand bei der Anwendung des Vergaberechts grundsätzlich auf dem Boden des Privatrechts. Hierfür spreche schon ihre Rolle als Nachfrager bei der Ausschreibung, so dass sie sich nicht grundlegend von anderen Teilnehmern am Markt unterscheide. Auch gehörten die von der öffentlichen Hand abgeschlossenen Werk- und Dienstleistungsverträge ausschließlich dem Privatrecht an.

Das Bundesverwaltungsgericht ergänzt in seiner Entscheidung weiter, dass auch für das vorausgehende Vergabeverfahren nichts anderes gelte und daher die „Zwei-Stufen-Theorie“ im Ergebnis nicht zur Anwendung komme. Vielmehr entstehe mit der Aufnahme der Vertragsverhandlungen zwischen den öffentlichen Auftraggebern und den Bietern ein privatrechtliches Rechtsverhältnis, das bis zur Auftragsvergabe an einen Bieter andauere. Insofern sei das Vergabeverfahren seiner Struktur nach gerade nicht zweiphasig. Es fehle an einem Anknüpfungspunkt für eine „erste Stufe“. Denn eine selbstständige Vergabeentscheidung hinsichtlich des „Ob“ gebe es nicht. Vielmehr erfolge die Auswahl zwischen mehreren Bietern durch den Auftraggeber im Regelfall unmittelbar durch den Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages mit dem Bieter in Form des Zuschlags. Die Vergabe öffentlicher Aufträge müsse damit insgesamt als einheitlicher Vorgang dem Privatrecht zugeordnet werden.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat in einer Stellungnahme begrüßt, dass das Bundesverwaltungsgericht beim Rechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen, die Auftragswerte unterhalb der EU-Schwellenwerte betreffen, nunmehr dem Verwaltungsrechtsweg den Boden entzogen hat. Positiv an der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei auch, dass der rechtliche Flickenteppich innerhalb der OVG-Rechtsprechung bei der Rechtsschutzfrage nunmehr einer Lösung zugeführt worden ist. Dennoch bleibe die Gefahr, dass einstweiliger Rechtsschutz – wie in der Vergangenheit vereinzelt auch – unmittelbar vor den Zivilgerichten bei Unterschwellenvergaben geltend gemacht wird. Hier könnte es – so der Deutsche Städte- und Gemeindebund - sinnvoll sein, dass der Normgeber im Zuge der zweiten Stufe der Vergaberechtsreform den zivilrechtlichen Unterschwellenrechtsschutz dadurch klar abgrenzt, dass er dessen Voraussetzungen nicht zuletzt im Hinblick auf das Ziel, unnötige Investitionsverzögerungen zu verhindern, klar regelt.

Az: 601-00

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