Mitteilungen 12/2010, Seite 299, Nr. 214

Bundesfinanzhof: Unternehmereigenschaft einer Gemeinde bei Einsatz eines mit Werbeaufdrucken versehenen Fahrzeugs - Tauschähnlicher Umsatz - Richtlinienkonforme Auslegung des § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG
 
Eine Gemeinde, die sich als Gegenleistung für die Übereignung eines mit Werbeaufdrucken versehenen Fahrzeugs (Werbemobil) verpflichtet, dieses für die Dauer von fünf Jahren in der Öffentlichkeit zu bewegen, ist Unternehmerin. Dies gilt auch dann, wenn die in Abschn. 23 Abs. 4 UStR 2005 genannte Umsatzgrenze von 30.678 EUR nicht erreicht wird.
(Leitsätze des Gerichts)

Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. März 2010 -  XI R 17/08

Zum Sachverhalt:
I. Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) Vorsteuern aus einer Rechnung der Marktgemeinde A (Gemeinde) geltend machen kann.

Die Klägerin vermarktet Werbemobile. Sie bietet dazu Vertragspartnern, vor allem Kommunen, Sportvereinen und sozialen Einrichtungen, die Überlassung eines mit Werbeaufschriften zu versehenden Fahrzeugs auf der Basis eines vorbereiteten Vertragstextes an. Sind genügend Werbekunden gefunden, beschafft die Klägerin ein Fahrzeug, beklebt es mit Werbeaufschriften auf eigene Kosten und vereinnahmt von den Werbeinteressenten das Entgelt für die Werbefläche. Nach der Beschriftung wird das Fahrzeug dem Vertragspartner --hier der Gemeinde-- übereignet, der sich verpflichtet, über eine Vertragslaufzeit von 5 Jahren das Werbemobil zur Erreichung der Werbewirksamkeit in der Öffentlichkeit zu bewegen.

Im Vertrag vom 2. Januar 2006 verpflichtete sich die Klägerin, der Gemeinde einen solchen Werbeträger (hier PKW X) zu übereignen, den sie am 21. Juni 2006 auch übergab.

Mit Datum vom 9. August 2006 rechnete die Gemeinde u.a. die Erbringung von Werbefahrten mit dem PKW X vom 21. Juni 2006 bis 20. Juni 2011 mit der Klägerin im Voraus in Höhe von 9.810 EUR netto ab. Da die Klägerin der Gemeinde bereits mit Rechnung vom 31. Juli 2006 ihre nach dem Vertrag vom 2. Januar 2006 zu erbringende Leistung mit dem gleichen Nettobetrag von 9.810 EUR in Rechnung gestellt hatte, verrechnete die Klägerin die beiden Forderungen.

Aufgrund einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Gemeinde kam der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) zu dem Ergebnis, diese sei nicht berechtigt gewesen, für die Werbefahrten eine Rechnung mit Mehrwertsteuerausweis auszustellen. Die mit dem Fahrzeug verbundenen Tätigkeiten der Gemeinde seien nicht im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art erfolgt. Ein solcher sei zu verneinen, weil die in Abschn. 23 Abs. 4 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2005 (UStR) genannte Umsatzgrenze von 30.678 EUR nicht erreicht werde.

Mit Bescheid vom 29. Dezember 2006 erkannte das FA die von der Gemeinde in der Rechnung vom 9. August 2006 ausgewiesene Mehrwertsteuer in Höhe von ... EUR nicht als abzugsfähige Vorsteuer an und setzte gegenüber der Klägerin eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung für August 2006 in Höhe von ... EUR fest.

Das Finanzgericht (FG) gab der Sprungklage statt. Die Gemeinde sei mit dem dauerhaften Einsatz des Werbemobils selbständig und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen, nämlich um ein Fahrzeug zur Nutzung übereignet zu bekommen, tätig geworden. Die Werbeleistungen habe sie auf privatrechtlicher Grundlage erbracht und dabei den Bereich ihres hoheitlichen Tätigwerdens als Gemeinde verlassen. Auf die Umsatzgrenze von 30.678 EUR komme es unter dem Blickwinkel des Gemeinschaftsrechts nicht an. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob der von der Klägerin begehrte Vorsteuerabzug schon daraus folge, dass die Gemeinde die Werbeleistungen ihrem Betrieb gewerblicher Art "Wasserversorgung" zugeordnet habe. Die Vorentscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 1071.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Es trägt im Wesentlichen vor, das Fahrzeug sei zumindest weit überwiegend für den gemeindlichen Bauhof und damit zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben eingesetzt worden. Der erzielte Werbeeffekt sei lediglich ein Nebeneffekt, der keine --hervorgehobene-- nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit der Gemeinde darstelle. Auch wenn das Gemeinschaftsrecht keine starre Umsatzgrenze vorsehe, bedeute dies nicht, dass jede noch so unbedeutende wirtschaftliche Tätigkeit steuerpflichtig sei. Private Wettbewerber würden insoweit durch die Regelung zur Besteuerung sog. Kleinunternehmer in § 19 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) geschützt.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie verweist im Wesentlichen auf das Urteil des FG. Nach dem Gemeinschaftsrecht müsse sich die Tätigkeit nicht "wirtschaftlich herausheben". Die Wettbewerbsgleichheit verlange, gleiche wirtschaftliche Aktivitäten umsatzsteuerlich gleich zu behandeln. Die Gemeinde sei zudem bereits mit der Wasserversorgung unternehmerisch tätig und dieses Unternehmen umfasse ihre gesamte gewerbliche und berufliche Tätigkeit.

Aus den Gründen:
II. Die Revision des FA ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung –FGO--). Das FG hat der Klägerin den streitigen Vorsteuerabzug zu Recht zuerkannt.

1. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG kann der Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. Soweit der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung dieser Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist.
Dies steht im Einklang mit Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Danach ist der Steuerpflichtige befugt, soweit er Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, von der von ihm geschuldeten Steuer die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden, abzuziehen.

2. Zutreffend hat das FG die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG bejaht und insbesondere mit Recht dargelegt, die Gemeinde sei als Unternehmerin berechtigt gewesen, für die von ihr noch zu erbringenden Leistungen eine Rechnung mit Mehrwertsteuerausweis auszustellen.

a) Mit der Verwendung des Werbemobils im Straßenverkehr für die Dauer von 5 Jahren erbringt die Gemeinde nachhaltig eine sonstige Leistung i.S. des § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. April 2008 XI R 56/06, BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909), nämlich eine Werbeleistung (vgl. § 3a Abs. 4 Nr. 2 UStG).

b) Diese Leistung erbringt die Gemeinde gegen Entgelt.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des BFH werden Leistungen nach den übereinstimmenden Regelungen in § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG und in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 77/388/EWG gegen Entgelt erbracht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das zwischen der Leistung und einem erhaltenen Gegenwert einen unmittelbaren Zusammenhang begründet und die Vergütung den Gegenwert für die Leistung bildet (vgl. BFH-Urteile vom 5. Dezember 2007 V R 60/05, BFHE 219, 455, BStBl II 2009, 486, m.w.N. zur Rechtsprechung von EuGH und BFH, und in BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909).

Eine entgeltliche Leistung stellen auch der Tausch und der tauschähnliche Umsatz dar. Ein tauschähnlicher Umsatz liegt vor, wenn das Entgelt für eine sonstige Leistung in einer Lieferung oder sonstigen Leistung besteht (§ 3 Abs. 12 Satz 2 UStG). Voraussetzung hierfür ist, dass sich zwei entgeltliche Leistungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG gegenüberstehen, die lediglich durch die Modalität der Entgeltvereinbarung (Tausch) miteinander verknüpft sind (BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 42/06, BFHE 221, 74, m.w.N.). Nicht maßgeblich ist, ob die Vertragsparteien die einander erbrachten Leistungen als entgeltlich oder unentgeltlich bezeichnen (BFH-Urteil vom 10. Juli 1997 V R 95/96, BFHE 183, 296, BStBl II 1997, 668). Der Gegenwert wird bei Tausch und tauschähnlichen Umsätzen i.S. von § 3 Abs. 12 UStG durch eine tatsächlich erhaltene Gegenleistung erbracht, die nicht in Geld besteht, aber in Geld ausdrückbar sein muss (BFH-Urteil in BFHE 221, 475, BStBl II 2008, 909).

bb) Als Gegenwert und damit als Entgelt für die von ihr in dem fünfjährigen Verwendungszeitraum noch zu erbringenden Werbeleistungen hat die Gemeinde nach den unstreitigen Feststellungen des FG das Fahrzeug übereignet erhalten, für das sie selbst keine Anschaffungskosten tragen musste. Auch die Finanzverwaltung geht in einem solchen Fall von einem tauschähnlichen Umsatz aus, dessen Bemessungsgrundlage aus Vereinfachungsgründen mit dem Wert des Einkaufspreises des Fahrzeugs angesetzt werden könne (Schreiben der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vom 29. Februar 2008 -S 7100- Rz 1.1.2 und 1.2, USt-Kartei BW § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG S 7100 Karte 16). Soweit die Werbeleistungen zum Zeitpunkt der Übereignung des Pkw X noch nicht erbracht waren, stellt sich dieser Gegenwert --das Fahrzeug-- als Vorauszahlung dar.

c) Mit dem Einsatz des Werbemobils ist die Gemeinde insoweit auch als Unternehmerin i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 UStG bzw. Steuerpflichtige i.S. des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG tätig geworden.
aa) Entgegen der Auffassung des FA steht dem Vorsteuerabzug nicht entgegen, dass es sich bei ihr um eine juristische Person des öffentlichen Rechts handelt und diese nach § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6, § 4 des Körperschaftsteuergesetzes --KStG--) und ihrer land- oder forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig sind, soweit keiner der in § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG geregelten Sonderfälle vorliegt.

§ 2 Abs. 3 Satz 1 UStG ist unter Berücksichtigung von Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG richtlinienkonform auszulegen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 27. Februar 2003 V R 78/01, BFHE 201, 554, BStBl II 2004, 431, unter II.3., und vom 5. Februar 2004 V R 90/01, BFHE 205, 323, BStBl II 2004, 795, unter II.4.b bb; vgl. auch Kraeusel, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2010, 480, 486 ff.). Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt:

(5) Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben.

Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde.

Die vorstehend genannten Einrichtungen gelten in jedem Fall als Steuerpflichtige in Bezug auf die in Anhang D aufgeführten Tätigkeiten, sofern der Umfang dieser Tätigkeiten nicht unbedeutend ist.

..."

Danach sind juristische Personen des öffentlichen Rechts Unternehmer i.S. von § 2 Abs. 3 Satz 1 UStG i.V.m. § 4 KStG, wenn sie Leistungen gegen Entgelt auf privatrechtlicher Grundlage unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie ein privater Wirtschaftsteilnehmer erbringen (BFH-Urteile in BFHE 205, 323, BStBl II 2004, 795; vom 22. September 2005 V R 28/03, BFHE 211, 566, BStBl II 2006, 280; vom 12. Oktober 2004 V R 15/02, BFH/NV 2005, 388; vom 3. Juli 2008 V R 51/06, BFHE 222, 128, BStBl II 2009, 213, unter II.2., und vom 20. August 2009 V R 30/06, BFHE 226, 465).

bb) Dies ist hier der Fall. Die Gemeinde erbringt die --entgeltlichen-- Werbeleistungen auf der Grundlage des mit der Klägerin abgeschlossenen zivilrechtlichen Vertrages und nicht im Rahmen der eigens für sie geltenden öffentlich-rechtlichen Regelungen.

Zwar stehen die Fahrten im Zusammenhang mit dem Einsatz des Fahrzeugs für gemeindliche --möglicherweise hoheitliche-- Zwecke. Hierauf kommt es aber nach der Rechtsprechung des EuGH nicht an (EuGH-Urteile vom 17. Oktober 1989 Rs. C-231/87 und C-129/88 --Comune di Carpaneto Piacentino u.a.--, Slg. 1989, 3233, UR 1991, 77, Randnr. 13, und vom 12. September 2000 Rs. C-276/97 --Kommission/Frankreich--, Slg. 2000, I-6251, Internationales Steuerrecht 2000, 620, Randnr. 33). Außerdem haben die entgeltlichen Werbeleistungen auch nichts mit der öffentlichen Aufgabenstellung der Gemeinde bzw. des Bauhofs zu tun. Es ist auch unerheblich, ob die Gemeinde mit dem Werbemobil zusätzliche, nicht durch den Gemeindebetrieb veranlasste Fahrten unternommen hat oder das Fahrzeug anderweitig besonders werbewirksam eingesetzt hat.

Im Übrigen hat die Gemeinde mit ihrem Anschreiben an potentielle Werbekunden, die sie auf die Möglichkeit des Werbemobils hingewiesen hat, und mit ihrer Teilnahme an der werbewirksam angekündigten Fahrzeugübergabe weitere Werbeleistungen zugunsten der Klägerin --auf privatrechtlicher Grundlage-- erbracht.

cc) Nach Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG kommt es für die Frage, ob die Gemeinde in Bezug auf ihre Werbeleistungen als Steuerpflichtige (bzw. Unternehmerin i.S. des UStG) tätig geworden ist, entgegen der Auffassung des FA und im Gegensatz zu § 4 Abs. 1 Satz 1 KStG (vgl. BFH-Urteil vom 13. März 1974 I R 7/71, BFHE 112, 61, BStBl II 1974, 391) nicht darauf an, ob die ausgeübte Tätigkeit oder erbrachte Leistung von einer eigenständigen Einrichtung ausgeführt wird. Die Richtlinie stellt in Art. 4 Abs. 5 vielmehr ausschließlich auf die jeweils ausgeübte Tätigkeit oder erbrachte Leistung als solche ab.

dd) Entgegen der Auffassung des FA kann der Gemeinde die Unternehmereigenschaft nicht mit der Begründung versagt werden, die von ihr erzielten Werbeumsätze seien zu gering.

Die im Rahmen der privatwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit erzielten Einnahmen der Gemeinde unterliegen bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung den gleichen umsatzsteuerrechtlichen Bestimmungen wie die Umsätze anderer Unternehmen auch. Danach kommt es für die Unternehmereigenschaft --auch einer juristischen Person des öffentlichen Rechts-- nicht darauf an, ob sich ihre wirtschaftliche Tätigkeit innerhalb ihrer Gesamtbetätigung "wirtschaftlich" heraushebt und bestimmte Umsatzgrenzen überschreitet. Der Wortlaut des Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG gibt keinen Hinweis auf derartige Grenzen. Bereits mit dem BFH-Urteil vom 25. Oktober 1989 V R 111/85 (BStBl II 1990, 868) hat der BFH --unter Verweis auf das BFH-Urteil vom 11. Januar 1979 V R 26/74 (BFHE 127, 83, BStBl II 1979, 746)-- festgestellt, dass Gewinn- oder Umsatzgrenzen keine geeigneten, allein maßgeblichen Kriterien zur Bestimmung der Steuerpflicht einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach § 2 Abs. 3 UStG 1967 sind (vgl. auch Klenk in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, September 2007, § 2 Rz 232; Kraeusel, UR 2010, 480, 488). Entgegen der Auffassung des FA kann der Klägerin --und der Gemeinde-- somit nicht entgegengehalten werden, die von der Gemeinde erzielten Umsätze erreichten nicht die in Abschn. 23 Abs. 4 UStR aufgeführten und aus den Körperschaftsteuer-Richtlinien 2004 (KStR) übernommenen Umsatzgrenzen.

Soweit das FA die in Abschn. 23 Abs. 4 UStR i.V.m. R 6 Abs. 5 KStR genannte Umsatzgrenze von 30.678 EUR mit der Begründung verteidigt, § 2 Abs. 3 UStG und Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 77/388/EWG seien Schutzvorschriften zugunsten von privaten Unternehmern und bei einer bloß unbedeutenden wirtschaftlichen Tätigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts sei ein derartiger Schutz nicht erforderlich, da private Unternehmer dann durch die Kleinunternehmerregelung in § 19 Abs. 1 UStG ausreichend geschützt seien, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Zum einen trifft der Ausgangspunkt dieser Überlegung (Schutzvorschriften zugunsten privater Unternehmer) jedenfalls nicht uneingeschränkt zu. Denn der EuGH hat entschieden, Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG sei dahin auszulegen, dass die Einrichtungen des öffentlichen Rechts, soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, nicht nur dann als Steuerpflichtige gelten, wenn ihre Behandlung als Nichtsteuerpflichtige aufgrund des Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 1 oder 4 der Richtlinie 77/388/EWG zu größeren Wettbewerbsverzerrungen zulasten ihrer privaten Wettbewerber führen würde, sondern auch dann, wenn sie derartige Verzerrungen zu ihren eigenen Lasten zur Folge hätte (vgl. EuGH-Urteil vom 4. Juni 2009 Rs. C-102/08 --Salix--, BFH/NV 2009, 1222, UR 2009, 484).

Zum anderen hat eine juristische Person des öffentlichen Rechts, die einen oder mehrere Betriebe gewerblicher Art unterhält, nur ein einheitliches Unternehmen im umsatzsteuerrechtlichen Sinne, das ihre sämtlichen Betriebe gewerblicher Art sowie ihre land- und forstwirtschaftlichen Betriebe umfasst (BFH-Urteil vom 18. August 1988 V R 194/83, BFHE 154, 274, BStBl II 1988, 932).

Im Streitfall unterhielt die Gemeinde bereits vor Aufnahme der Werbefahrten den steuerpflichtigen Betrieb gewerblicher Art "Wasserversorgung", dessen Umsätze unstreitig die in § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG genannten Grenzen überstiegen. Da die Werbeleistungen im umsatzsteuerlichen Sinne zu dem einheitlichen Unternehmen der Gemeinde gehören, kommt eine isolierte Anwendung der Kleinunternehmerregelung gemäß § 19 UStG auf die Umsätze aus den Werbeleistungen nicht in Betracht.

ee) Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die Auffassung des FA, die Gemeinde habe mit der Konzeption, Planung und Durchführung von Werbemaßnahmen sowie der Akquisition von Werbekunden Tätigkeiten eines gewerblichen Werbebüros i.S. der Nr. 10 des Anhangs D der Richtlinie 77/388/EWG entfaltet und wäre deshalb nur dann Unternehmerin, wenn der Umfang dieser Tätigkeit --anders als im Streitfall-- nicht unbedeutend wäre.

Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt in Verbindung mit Nr. 10 des Anhangs D, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts in jedem Fall als Steuerpflichtige (Unternehmerin) gilt, wenn sie die Tätigkeit eines gewerblichen Werbebüros in nicht unbedeutendem Umfang ausübt. Die Formulierung "in jedem Fall" schließt entgegen der Auffassung des FA nicht aus, dass eine solche Tätigkeit, selbst wenn sie einen unbedeutenden Umfang haben sollte, gleichwohl aus anderen Gründen unternehmerisch ausgeübt werden kann. Ein solcher Grund liegt im Streitfall schon deshalb vor, weil die Gemeinde bereits wegen einer anderen Tätigkeit Unternehmerin ist.

ff) Die Klägerin besitzt des Weiteren unstreitig eine mit allen für den Vorsteuerabzug notwendigen Angaben versehene Rechnung über die fraglichen Werbeleistungen.

Az: 915-01