Mitteilungen 02/2009, Seite 77, Nr. 34

Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum

Im Rahmen der Internationalen Grünen Woche fand am 21. und 22. Januar 2009 in Berlin das Zukunftsforum Ländliche Entwicklung des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz statt. Die Arbeitsgemeinschaft der Akademien ländlicher Raum in den deutschen Ländern, die ArgeLandentwicklung Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft, die ASG Agrarsoziale Gesellschaft e.V., das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, der Deutsche Städte- und Gemeindbund und der Deutsche Landkreistag zählten zu den Mitveranstaltern. Die Hauptveranstaltung stand unter dem Titel „Perspektiven für Wirtschaft und Arbeit in ländlichen Räumen“.
Eine der wichtigsten Begleitveranstaltungen widmete sich dem Thema „Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“.  Ziel war es, unter dem Blickwinkel der bei der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum bestehenden Probleme mögliche Ansätze zu deren Lösung einer breiteren Öffentlichkeit näher zu bringen. Frau Prof. Dr. Grabski-Kieron von der Universität Münster wies auf die seit mehreren Jahren zu beobachtende Bevölkerungswanderung in Richtung Agglomerationsräume hin. Herr Referatsleiter Weck vom Bundesministerium für Gesundheit erläuterte die gesetzlichen Neuerungen, die der Bundestag gerade mit Blick auf die ärztliche Versorgung in ländlichen Räumen in den zurückliegenden Jahren verabschiedet hat. Frau Gordes, stellvertretende Geschäftsführerin des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg, verwies in ihrem Statement auf die in Brandenburg seit mehreren Jahren zwischen den verschiedenen Institutionen bestehende Zusammenarbeit zur Gewinnung insbesondere von Hausärzten für den ländlichen Raum. Herr Staatssekretär Sackmann vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit, Sozialordnung, Familie und Frauen ging auf die sozialpolitischen Aspekte der Versorgung pflegebedürftiger und älterer Menschen im ländlichen Raum ein. Vertreter aus Politik, Verwaltung, Wissenschaft, der Ärzteschaft und der Kommunen hatten nach den Kurzstatements Gelegenheit, Nachfragen zu stellen oder Gedanken auszutauschen.

Bekanntlich stellt sich die Wiederbesetzung von Arztpraxen als nicht einfach dar. Medizinische Versorgungszentren sind aus gemeindlicher Sicht und aus Sicht insbesondere der älteren Bürger nicht unbedingt die Lösung, da die Fahrtwege mitunter lang sind. Auch bei Kooperationsvereinbarungen mit Krankenhäusern ist aus Sicht der Gemeinde oder des die Praxis abgebenden Arztes durchaus vorsichtig zu agieren. So hatte sich eine Krankenhausärztin bereit gefunden, an Stelle des in den Ruhestand tretenden Arztes bestimmte Zeiten in dessen Landambulatorium zu arbeiten. Sie stellte fest, dass sich die Tätigkeit durchaus rentierte und wollte die Praxis komplett übernehmen und bei dem Krankenhaus kündigen. Das Krankenhaus wollte diesen Wechsel nicht zulassen. Jetzt ist die Ärztin in Berlin tätig.
Das Redemanuskript von Frau Gordes ist nachfolgend abgedruckt.

„Gesundheitliche Versorgung aus der Sicht ländlicher Kommunen

Die gesundheitliche Versorgung im ländlichen Raum ist ein Thema, das im Land Brandenburg und in einigen anderen Flächenländern seit Anfang des Jahrtausends regelmäßig auf der Agenda steht. Seitdem ist ein ganzer Instrumentenkoffer zur Gewinnung von Ärzten in unterversorgten Gebieten entwickelt worden, sei es auf Grund von Gesetzesänderungen auf Bundesebene, sei es durch Beschlüsse der Kassenärztlichen Vereinigungen.

I. Das Land Brandenburg weist die geringste Arztdichte in Deutschland auf. Sowohl bei den Hausärzten als auch bei einigen Gruppen der Fachärzte gibt es mittlerweile in Brandenburg in einigen Landesteilen eine festgestellte Unterversorgung beziehungsweise es droht eine solche Unterversorgung. In neun Altkreisen, die es bis zur Kreisgebietsreform im Jahr 1993 gab, hat der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen - neben bestimmten Facharztgruppen - für die Gruppe der Hausärzte eine Unterversorgung festgestellt. Im Bereich der niedergelassenen Ärzte fehlen ca. 175 Ärzte. Hierbei geht es vor allen Dingen um Arztpraxen im ländlichen Raum, das heißt um solche in berlinfernen Regionen. Auch bei den Krankenhäusern sind ca. 160 Stellen nicht besetzt. Die Gesundheitsämter der Landkreise und kreisfreien Städte haben seit Jahren Schwierigkeiten, freiwerdende Stellen wiederzubesetzen.

Am Ende des Jahres 2007 waren von den 3.131 niedergelassenen Ärzten in Brandenburg 7,3 % älter als 65 Jahre, 13,4 % zwischen 60 und 65 Jahre und 35,7 % zwischen 50 und 59 Jahre alt. Bezogen auf die Hausärzte ist festzustellen, dass 9,9 % der Hausärzte älter als 65 Jahre waren, 15,5 % waren zwischen 60 und 65 Jahre alt. Mehr als ein Viertel der Hausärzte in Brandenburg stehen demnach kurz vor dem Ruhestand.

Ähnlich stellt sich die Situation in den anderen neuen Bundesländern, aber auch in westdeutschen Flächenländern, wie beispielsweise Niedersachsen dar.

II. Welche Rolle nehmen hier nun die Kommunen ein?

Das Thema der gesundheitlichen Versorgung berührt die Städte und Gemeinden in den vielfältigsten Lebensbereichen und kommunalen Aufgaben.

Die gesamte Daseinsvorsorge der Städte und Gemeinden ist darauf ausgerichtet, alle Voraussetzungen für ein gesundes Leben, eine gesunde Lebensweise und die Gesundheitsförderung zu schaffen und zu erhalten. Deshalb sind die Städte und Gemeinden ganz besonders daran interessiert, dass sich im Ort Ärzte befinden und ihre Bürger wohnortnah ärztliche Versorgung erhalten.
An einer verläßlichen gesundheitlichen Versorgung haben Kommunen auch deshalb ein Interesse, weil sie, sofern die Menschen selbst finanziell hierzu nicht in der Lage sind oder sofern die jeweilige Sozialversicherung nicht ausreichend leistet, über die Jugendhilfe oder die Sozialhilfe nicht selten Leistungen bei Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit erbringen müssen. Diese Leistungen belasten ihre Haushalte.

Im Kontext der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum sind Städte und Gemeinden aufgerufen, attraktive Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Mediziner zur Niederlassung veranlassen könnten. Dies bedeutet, dass es eine möglichst umfassende, funktionierende Infrastruktur im Ort gibt. Eine schnelle Internet-Anbindung ist hierbei unverzichtbar.

III. Der Städte- und Gemeindebund Brandenburg ist Partner, wenn es darum geht, Ärzte für Brandenburg zu gewinnen.
Seit dem Jahr 2002 arbeiten in Brandenburg die verschiedenen Akteure auf Landesebene zusammen, um Maßnahmen zu verabreden, durch die Ärzte für eine Niederlassung in Brandenburg gewonnen werden können. Den wichtigsten Part nehmen hier die Kassenärztliche Vereinigung und die Krankenkassen ein. Das Ministerium für Gesundheit des Landes Brandenburg hat beginnend im Jahr 2002 regelmäßig zu Gesprächsrunden eingeladen, damit weitere Maßnahmen zwischen den verschiedenen Partnern verabredet oder die neuesten Trends und Entwicklungen bewertet werden konnten. An diesen Gesprächen hat der Städte- und Gemeindebund Brandenburg stets teilgenommen. Weitere Partner sind die Landesärztekammer, die Landeskrankenhausgesellschaft oder die Landesagentur für Arbeit Berlin-Brandenburg.

Unsere Aufgabe bestand zunächst darin, unsere Mitglieder, die Städten und Gemeinden, für das Thema der ärztlichen Versorgung zu sensibilisieren und sie darauf aufmerksam zu machen, dass die Wiederbesetzung der Arztstelle aus den verschiedensten Gründen mit Schwierigkeiten verbunden sein könnte. Wir haben konkret darauf hingewiesen, welche Landkreise hiervon betroffen sein könnten und unseren Mitgliedern empfohlen, sich um die Niederlassung eines Arztes ebenso zu bemühen wie um die Ansiedlung von Gewerbetreibenden.
Da es um die gesundheitliche Versorgung der in den Gemeinden wohnenden Bevölkerung geht, haben die Gemeinden ein Interesse daran, dass die ärztliche Versorgung im Ort selbst oder in Nachbargemeinden sichergestellt ist.
Die Gemeinden wissen, dass es sich hierbei um einen Standortfaktor handelt, der wiederum ein Baustein in einer gelungenen Infrastruktur ist. Einesteils spielt das Vorhandensein von Ärzten eine Rolle, wenn es darum geht, Menschen im Ort zu halten. Andererseits wird sich die Bevölkerung gerade in den betroffenen Gebieten zunehmend aus älteren oder hochbetagten Menschen zusammensetzen, die auf wohnortnahe ärztliche Hilfe eher als jüngere Generationen angewiesen sind.
Die Bürgermeister und Amtsdirektoren, bei denen eine Arztpraxis vakant zu werden drohte, haben das Thema aufgegriffen und sich bemüht, Nachfolger für Arztpraxen zu gewinnen. Sie werben auf ihren kommunalen Internetseiten um Ärzte, bieten sich mit Lotsenfunktionen an, helfen bei Fragen der Kinderbetreuung, des Schulbesuchs, der Suche nach Wohnraum oder suchen geeignete Arbeitsstellen für den Partner der Ärztin. Es gibt Gemeinden, die auf eigene Kosten Räume für Arztpraxen geschaffen haben oder den Ärzten die Stellplatzablöse erlassen oder ähnliches. Es gibt Städte, die öffentlich und offensiv auf die Problematik des Arztmangels aufmerksam machen; andernorts haben Bürgermeister Bundestags- und Landtagsabgeordnete zu Diskussionsrunden eingeladen, um im Gespräch Lösungsmöglichkeiten für ihren Ort zu finden.

Im Jahr 2006 hat das Gesundheitsministerium des Landes Brandenburg unter Mitwirkung der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenkassen und des Städte- und Gemeindebundes eine Internetseite www.hausarzt-in-brandenburg.de gestartet. Mit der Internetseite soll positiv auf die vielen Möglichkeiten für eine ärztliche Tätigkeit in Brandenburg aufmerksam gemacht werden und die verschiedenen Partner bieten dort ihre Unterstützung für die Weiterbildung, die Praxisübernahme, die Niederlassung und ähnliches an. Auf diesen Internetseiten stellen sich in loser Reihenfolge Gemeinden vor, um zu zeigen wie attraktiv und schön Brandenburg ist.
Der ländliche Raum hat zwar spezielle Probleme, aber er bietet auch ganz eigene Vorzüge und Chancen.
Gleichzeitig mit dem Internetauftritt wurde die Zusammenarbeit zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Kommunen dadurch verstärkt, dass die Kommunen der KV einen festen Ansprechpartner benennen, der gegebenenfalls dem sich interessierenden Arzt hilfreich vor Ort zur Verfügung steht.

IV. Bei allen Bemühungen der verschiedenen Partner war und ist aber auch festzustellen, dass es letztlich auf die Vergütung ankommt, die der niedergelassene Arzt erzielen kann. Durch Beschlüsse innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg wurde die Vergütung der Hausärzte in den zurückliegenden Jahren verbessert. Einen kleinen Schritt in die richtige Richtung brachte für die ostdeutschen Ärzte das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, mit dem der Abschlag für privatversicherte Patienten abgeschafft wurde.
Die Umstellung des Vergütungssystems mit dem Start des Gesundheitsfonds und der Einführung der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung bringen für die brandenburgischen Ärzte eine weitere Erleichterung. Sie erhalten ab 2009 eine über zehnprozentige Anhebung ihrer Honorare.
Der Kassenärztlichen Vereinigung werden über 100 Millionen Euro mehr als in Vorjahren zur Verfügung stehen. Hierdurch werden die bisherigen eklatanten Einkommensunterschiede zwischen ost- und westdeutschen Ärzten ein wenig verringert, wobei die brandenburgischen Ärzte noch lange nicht das Niveau der westdeutschen Ärzte erreichen. Die Angleichung wird sicher nicht ausreichen, um Ärzte nach Brandenburg zu holen. Die Beseitigung der Einkommensnachteile wird es uns aber leichter machen, um Ärzte zu werben.

Spannend wird sein, wie sich die unterschiedlichen regionalen Preise bei Unterversorgung und Überversorgung ab dem Jahr 2010 auswirken werden. Bis zum 31. August 2009 soll der Bewertungsausschuss bundeseinheitliche Punktwerte als Orientierungswerte bei festgestellter Unterversorgung beziehungsweise drohender Unterversorgung und bei festgestellter  Überversorgung entwickeln. Wenn diese Werte dann bei den regionalen Preisen ab dem Jahr 2010 Berücksichtigung finden, könnte hierdurch ein finanzieller Anreiz gesetzt werden für Ärzte, sich in unterversorgten Gebieten oder in solchen, bei denen eine Unterversorgung droht, niederzulassen. Es bleibt also abzuwarten, wie sich diese Regelungen auswirken.

V. Aus unserer Sicht lässt sich feststellen, dass in den zurückliegenden Jahren viele Maßnahmen ergriffen und Instrumente zur Verfügung gestellt wurden, um den eintretenden Ärztemangel abzumildern. Dennoch lässt sich der notwendige Ersatzbedarf an Ärzten nicht mit den bisherigen Nachbesetzungen realisieren.
Besondere Bedeutung messen wir bei dem Thema der gesundheitlichen Versorgung den Signalen zu, die die jeweilige Landesplanung aussendet. In Brandenburg verfolgt die Landesregierung seit wenigen Jahren das von unserem Verband kritisierte Konzept, „Stärken stärken – Wachstum und Innovation“. Das heißt, die Landesplanung und sämtliche Förderprogramme des Landes beziehen sich nur noch auf die Oberzentren und Mittelzentren. Die Umsetzung der Devise „Stärken stärken“ bedeutet gleichzeitig eine weitere Schwächung des ländlichen Raums. Die Landesplanung macht es also den Gemeinden noch schwerer, als es ohnehin im Wettbewerb mit anderen Standorten ist, Ärzte für eine Niederlassung zu gewinnen. Wir sehen die Gefahr, dass das Prinzip „Stärken stärken“ zu einer Entleerung ländlicher Räume führt.

Eine weitere Baustelle für das Land Brandenburg sehen wir ferner in der Aufgabe, für Brandenburg mehr junge Ärzte auszubilden. Das Land Brandenburg verfügt über keine eigene medizinische Fakultät. Angesichts der verschiedenen Fakultäten in Berlin mag diese Entscheidung nach der Wende verständlich gewesen sein. Wir fordern allerdings von der Landesregierung, dass sie mit dem Land Berlin eine verbindliche Vereinbarung trifft, Studenten aus Brandenburg für Brandenburg auszubilden. Richtig ist, dass viele in Deutschland ausgebildete Mediziner auswandern. Es wandern allerdings auch eine Reihe von Medizinern zu. Dennoch reicht die Zahl der ausgebildeten Mediziner nicht zur Abdeckung des Bedarfs. Die Zahl der paramedizinischen Berufe hat in den letzten 15 Jahren stetig zugenommen. Es werden Mediziner im Controlling, in der Verwaltung und in der EDV-Branche eingesetzt. Die Zahl der Studienplätze im Fach Medizin muß dieser Entwicklung angepasst werden. In Mecklenburg-Vorpommern hat man beispielsweise eine Stiftungsprofessur an der Universität Rostock eingerichtet. Dies halten wir für den richtigen Weg.

Soweit unsere Einschätzung bisheriger Maßnahmen und ein Ausblick auf noch zu erledigende Aufgaben.“

Monika Gordes stellvertretende Geschäftsführerin