Rechtsprechung: OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Dezember 2008 - 2 A 10.07

OVG Berlin-Brandenburg: Aufhebung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§ 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB)

1. Nach der Sollvorschrift des § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB ist die Aufhebung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans die Regelfolge einer nicht fristgerechten Durchführung des Vorhaben- und Erschließungsplans.

2. Die Gemeinden haben bei der dem Abwägungsgebot unterliegenden Aufhebung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans die betroffenen öffentlichen und privaten Belange in eigener Verantwortung abzuwägen. Dies schließt nicht aus, dass sie die Abwägung durch einen Rechtsanwalt vorbereiten lassen, sofern die Gemeindevertretung sich dessen Abwägungsvorschlag zu Eigen macht.
(Leitsätze des Gerichts)

Zum Sachverhalt:
Der Normenkontrollantrag richtet sich gegen die Aufhebung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans.

Die Antragstellerinnen beabsichtigten, im Ortsteil Paretz der Stadt Ketzin als Vorhabenträger 37 Wohngebäude sowie ein Bürogebäude zu errichten.

Die Antragstellerin zu 1. ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), die Wohnbauvorhaben durchführt. Sie ist nicht mehr in der Lage, ihre Zahlungspflichten zu erfüllen. Mit rechtskräftigem Beschluss des AG Detmold vom 28. August 2007 – 10 IN 38.07 – wurde die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für das Vermögen der Gesellschaft mangels Masse abgelehnt. Die Auflösung der Gesellschaft ist von Amts wegen in das Handelsregister eingetragen worden. Von der Einleitung eines Amtslöschungsverfahrens gemäß § 141 a Abs. 1 FGG wurde einstweilen abgesehen. Geschäftsführer der Antragstellerin zu 1. ist Herr (…). Ausweislich einer Auskunft der Firma gab dieser in den Jahren 2002 und 2003 als Schuldner mehrfach eidesstattliche Versicherungen ab.

Die Antragstellerin zu 2. ist eine GmbH, die den Vertrieb von Baumaschinen, Ladekränen und die Führung einer Reparaturwerkstatt zum Gegenstand hat. Geschäftsführerin ist die Ehegattin des Herrn B., der Generalbevollmächtigter der Antragstellerin zu 2. ist.

Eigentümer der im Plangebiet gelegenen Grundstücke sind Dritte, welche die Grundstücke an die Vorhabenträger verkauft haben. Insbesondere für eine Teilfläche des Grundstücks der Gemarkung Ketzin, Flur 4 (…), Flurstück 4 (…) ist eine Auflassungsvormerkung zu Gunsten der Antragstellerin zu 2. im Grundbuch eingetragen. Das Grundstück der Gemarkung Ketzin, Flur 1 (…), Flurstück 4 (…) steht im Eigentum der (…) Kirchengemeinde (…). Zu Gunsten der GmbH  (…) ist ein Erbbaurecht im Grundbuch eingetragen.

Die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin beschloss im Jahre 1997, einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan aufzustellen.

Die Antragstellerin zu 1. als Vorhabenträger schloss mit der Antragsgegnerin einen Durchführungsvertrag (DV), dem die Antragstellerin zu 2. in der Fassung der 3. Ergänzung vom 28. November 2005 beigetreten ist. Der Durchführungs-vertrag in der maßgeblichen Endfassung vom 28. November 2005 enthält u.a. folgende Regelungen:

„§ 2 Verpflichtungserklärung des Vorhabenträgers

(1) Der Vorhabenträger verpflichtet sich, auf den vorbezeichneten Grundstücken auf der Grundlage des VEP (…) zu bauen und die erforderlichen Erschließungs- und grünordnerischen Maßnahmen (Ausgleich und Ersatzmaßnahmen) zu verwirklichen.

(2) Der Vorhabenträger verpflichtet sich, innerhalb von 6 Monaten nach Bekanntmachung des Vorhaben- und Erschließungsplans mit der Realisierung des Bauvorhabens zu beginnen und die Erstellung der Erschließungsanlagen sowie die Errichtung der geplanten Häuser spätestens 36 Monate nach Erlangen der Rechtskraft der Baugenehmigung abzuschließen.

(3) Der Vorhabenträger verpflichtet sich, spätestens zwei Monate nach Inkrafttreten der Satzung bei der unteren Bauaufsichtsbehörde vollständige und genehmigungsfähige Bauanträge einzureichen. Dem Vorhabenträger ist bekannt, dass die Stadt gemäß § 7 Abs. 5 BauGB-MaßnahmenG die Satzung aufheben soll, wenn er das Bauvorhaben einschließlich Erschließung nicht innerhalb der vorgenannten Frist beginnt und abschließt. Die Frist kann auf Antrag des Vorhabenträgers in begründetem Falle und in gegenseitigem Einvernehmen verlängert werden.

§ 15 Genehmigung, Wirksamkeit
(...)

(4) Die Vertragspartner sind sich darin einig, dass die hier getroffenen Vereinbarungen der Realisierung des bezeichneten Vorhabens dienen sollen. Sie verpflichten sich, diese Vereinbarungen, soweit erforderlich mit Wohlwollen auszustatten und nach den Regeln über Treu und Glauben auszufüllen bzw. zu ergänzen.“

Am 28. November 2005 beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Satzung über den Vorhaben- und Erschließungsplan 02/97 „Wohnbebauung Paretz“ und billigte die dritte Ergänzung des Durchführungsvertrags. Der Be-schluss über den vorhabenbezogenen Bebauungsplan wurde am 20. Januar 2006 im Amtsblatt für die Stadt Ketzin öffentlich bekannt gemacht.

Auf Antrag der Antragstellerinnen beschloss die Stadtverordnetenversammlung am 3. April 2006 die Verlängerung der Durchführungsfrist gemäß § 2 Abs. 3 DV auf sechs Monate.

Auf Grundlage einer Besprechung vom 28. Juni 2006, an der u.a. Rechtsanwalt Bö. als Bevollmächtigter eines Teils der Eigentümer der im Plangebiet liegenden Grundstücke sowie zeitweise auch der Bürgermeister der Antragsgegnerin teil-genommen hatten, erklärten die Grundstückseigentümer mit Schreiben vom 29. Juni 2006, dass sie von den Antragstellerinnen als Vorhabenträger „Abstand“ nähmen und einen Wechsel des Vorhabenträgers befürworteten.

Die Antragstellerinnen beantragten mit Schreiben vom 20. Juli 2006, die Frist nach § 2 Abs. 3 DV um drei Monate ab dem 20. Juni 2006 zu verlängern. Ein Beschlussvorschlag des Bauausschusses, den Vorhabenträgern „eine letzte Frist bis zum 31. Dezember 2006“ zur Durchführung des Vorhabens zu setzen, wurde durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 12. Oktober 2006 abgelehnt.

Am 30. Oktober 2006 wurde die Einleitung eines Aufhebungsverfahrens zu dem vorhabenbezogenen Bebauungsplan durch die Stadtverordnetenversammlung beschlossen. Im Rahmen der Beteiligung der Öffentlichkeit machten die Antragstellerinnen im Wesentlichen geltend, dass die Voraussetzungen für die Aufhebung des Bebauungsplans nach § 12 Abs. 6 BauGB nicht gegeben seien.

Am 21. November 2006 wollte ein Vertreter der Antragsstellerinnen ausweislich eines Vermerks der zuständigen Bauaufsichtsbehörde eine Bauanzeige für die Errichtung eines Wohngebäudes im Plangebiet abgeben. Diese wurde jedoch „wegen mangelnder Bauvorlagen“ nicht angenommen. Weitere Anträge der Antragstellerinnen sind auch später nicht eingegangen. Am 12. Dezember 2006 stellte ein Herr M. einen Bauantrag für ein Grundstück im Plangebiet, der dort im Rahmen des Vorhabens der Vorhabenträger ein Einfamilienhaus errichten wollte.

Am 5. März 2007 beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Abwägung u.a. der von der Antragsgegnerin vorgebrachten Belange sowie die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Diese wurde im Amtsblatt für die Stadt Ketzin vom 23. März 2007 öffentlich bekannt gemacht.

Die Antragstellerinnen haben am 22. Mai 2007 den Normenkontrollantrag gestellt. Sie halten die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans für unwirksam.

Bei der Beschlussfassung über die Aufhebung des Bebauungsplans seien formelle Fehler unterlaufen, weil der ausgeschlossene Stadtverordnete Rechtsanwalt Bö. als Vertreter der Grundstückseigentümer im Plangebiet sowie Herr Z., der Pfarrer der (… ) Kirchengemeinde sei, die wiederum Grundstückseigentümerin sei, daran mitgewirkt haben könnten.

Die Voraussetzungen für die Aufhebung des Bebauungsplans lägen nicht vor. Die im Durchführungsvertrag vorgesehene Frist zur Durchführung des Vorhabens sei eingehalten worden. Jedenfalls habe die Antragsgegnerin aktiv mit-geholfen, den Aufhebungstatbestand formal herbeizuführen, um sich eines unliebsam gewordenen Vorhabenträgers entschädigungslos zu entledigen.

Die in § 2 Abs. 3 DV vorgesehene Frist, spätestens zwei Monate nach In-Kraft-Treten der Satzung Bauanträge einzureichen, sei objektiv zu kurz bemessen worden. Die Frist hätte nach Treu und Glauben entsprechend § 15 Abs. 4 DV angepasst werden müssen.

Jedenfalls könne die Frist im gegenseitigen Einvernehmen verlängert werden, sofern dies zur Realisierung des Vorhabens erforderlich sei. Spätestens seit Juni 2006 habe die Antragsgegnerin die weitere Abwicklung der Planung hintertrieben. So habe die Stadtverordnetenversammlung über den von den Antragstellerinnen mit Schreiben vom 20. Juli 2006 gestellten Antrag auf Verlängerung der Frist nach § 2 Abs. 3 DV um weitere drei Monate nicht rechtswirksam ent-schieden. Die Tagesordnung zu dieser Sitzung sei irreführend gewesen und verstoße daher gegen § 43 der Gemeindeordnung (GO). Im Übrigen sei in dem öffentlichen Teil der Sitzung ein Schreiben eines Rechtsanwaltes nicht vollständig verlesen worden, weshalb der Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzung nach §  44 GO verletzt worden sei. Zudem sei von Amts wegen zu prüfen, ob ausgeschlossene Stadtverordnete mitgewirkt hätten.

Die Antragsgegnerin habe zudem ihr Ermessen bei der Aufhebung des Vorhaben- und Erschließungsplans fehlerhaft ausgeübt.

Die Abwägung sei defizitär, weil die gebotene sorgfältige Abwägung der öffentlichen und privaten Belange unterblieben sei. Ihre schutzwürdigen privaten Interessen an der Sicherung der von ihr getätigten Investitionen sei nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Erschließungsanlagen zu der Wohnbebauung seien Anfang des Jahres 2006 nahezu fertig gestellt worden. Über 500.000 € seien investiert worden. Eine entsprechende detaillierte Darlegung und Gewichtung der widerstreitenden Interessen, insbesondere zur Höhe und Zusammensetzung der Investitionen, sei im Abwägungsvorgang nicht enthalten.

Die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans verstoße gegen Treu und Glauben. Die Antragsgegnerin habe zielstrebig im Zusammenwirken mit Dritten und Rechtsanwalt Bö. die Aufhebung des Plans betrieben, um die Vorha-benträger aus dem Projekt zu entfernen.

Die Antragstellerinnen beantragen, festzustellen, dass die Satzung über die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans „Vorhaben- und Erschließungsplan 02/97 Wohnbebauung Paretz“ vom 5. März 2007 unwirksam ist.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, dass die Satzung über die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans rechtmäßig sei.

Sowohl die Aufhebung des Bebauungsplans als auch die Nichtverlängerung der Durchführungsfrist im Durchführungsvertrag sei formell rechtmäßig erfolgt. Die nach § 28 GO ausgeschlossenen Stadtverordneten Bö. und Z. hätten an den Entscheidungen nicht mitgewirkt.

Die materiellen Voraussetzungen für die Aufhebung des Bebauungsplanes nach § 12 Abs. 6 Abs. 1 BauGB lägen vor. Der Vorhaben- und Erschließungsplan sei nicht in der in § 2 Abs. 3 DV bestimmten Frist durchgeführt worden, weil die Vorhabenträger ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen seien, sechs Monate nach In-Kraft-Treten der Satzung bei der Bauaufsichtsbehörde vollständige und genehmigungsfähige Bauanträge zu stellen. Im Übrigen habe im Zeitpunkt der Aufhebung des Plans mit der Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Vertrag durch die Antragstellerinnen nicht mehr gerechnet werden können, weil die Vorhabenträger die zur Realisierung des Vorhabens notwendigen vertraglichen Vereinbarungen und grundbuchlichen Sicherungen der Grundstücke im Geltungsbereich des Bebauungsplans nicht vorgelegt hätten.

Es könne dahingestellt bleiben, ob die von den Antragstellerinnen begehrte nochmalige Verlängerung der Frist nach § 2 Abs. 3 DV formell ordnungsgemäß durch die Stadtverordnetenversammlung am 12. Oktober 2006 abgelehnt worden sei. Jedenfalls sei die nach dem Durchführungsvertrag vorgesehene einvernehmliche Fristverlängerung mangels Einvernehmens der Antragsgegnerin nicht zu Stande gekommen.

Die der Aufhebung des Bebauungsplanes zu Grunde liegende Abwägung sei fehlerfrei. Man habe sich auch mit den Einwendungen der Vorhabenträger auseinander gesetzt und deren wirtschaftlichen Belange berücksichtigt. Im Ergebnis habe sie aber dem Interesse an der Umsetzung ihrer planerischen Absichten im Plangebiet, insbesondere zur Verhinderung eines jahrelangen Stillstandes, Vorrang gegeben. Es sei nicht erkennbar gewesen, dass die Vorhabenträger finanziell in der Lage gewesen seien, das Vorhaben zu realisieren.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat den Normenkontrollantrag zurückgewiesen.

Aus den Gründen:
I. Der Normenkontrollantrag der Antragstellerinnen ist zulässig.

1. Die Antragstellerinnen sind nach §§ 47 Abs. 2, 61 Nr. 1 VwGO als juristische Personen in dem Normenkontrollverfahren parteifähig. Der Umstand, dass mit dem rechtskräftigen Beschluss des AG Detmold die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin zu 1. mangels Masse abgelehnt wurde und die Gesellschaft damit nach § 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG aufgelöst ist, führt nicht zum Verlust der Parteifähigkeit. Die aufgelöste GmbH besteht bis zur - bislang nicht erfolgten - Löschung im Handelsregister fort. Die Parteifähigkeit der aufgelösten GmbH bleibt bis zu deren vollständigen Abwicklung bestehen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 24. November 1993, GmbHR 1994, S. 191; Baumbach/Hueck, GmbH-Gesetz, § 60 Rdnr. 11).

2. Die Antragstellerinnen sind gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt.

Dies folgt zum einen daraus, dass sie in eigentumsähnlicher Weise an Grundstücken im Plangebiet dinglich Berechtigte sind und hinreichend geltend machen, durch die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans in ihrem Recht auf Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) verletzt zu sein. Die Antragstellerin zu 1. hat dargetan, dass sie wegen ihrer Identität mit der GmbH Wittenberg selbst Inhaberin eines Erbbaurechts (vgl. zu deren Antragsbefugnis BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 1997, NJW 1998, S. 770 m.w.N.) für das Grundstück der Gemarkung Ketzin, Flur 1 (…), Flurstück 4 (…) ist. Zu Gunsten der Antragstellerin zu 2. als Grundstückserwerberin (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2002, Buchholz 310, § 47 VwGO Nr. 153 m.w.N.) wurde für das Grundstück der Gemarkung Ketzin, Flur 4 (…), Flurstück 4 (…) eine Auflassungsvormerkung eingetragen.

Zum anderen werden die Antragstellerinnen als Vorhabenträger durch die angegriffene Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans an der Verwirklichung der im Vorhaben- und Erschließungsplan festgelegten baulichen Nutzung der Grundstücke im Plangebiet sowie an der Einhaltung der im Durchführungsvertrag getroffenen Vereinbarungen gehindert, weshalb sie geltend machen können, dass ihr Recht auf Abwägung verletzt sei, da ihre privaten Be-lange als Vorhabenträger bei der Aufhebung nicht hinreichend berücksichtigt seien.

3. Der Normenkontrollantrag ist am 22. Mai 2007 und damit entsprechend der mit Wirkung vom 1. Januar 2007 gültigen Fassung von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO (Gesetz vom 21. Dezember 2006, BGBl. I 3316) innerhalb eines Jahres nach der am 23. März 2007 im Amtsblatt der Stadt Ketzin erfolgten Bekanntmachung der Aufhebungssatzung gestellt worden.

II. Der Normenkontrollantrag ist unbegründet. Es kann nicht festgestellt werden, dass die auf Grundlage von § 12 Abs. 6 BauGB erfolgte Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans an einem formellen oder materiellen Mangel leidet.

1. Anhaltspunkte für beachtliche formelle Fehler bei der Aufhebung des Bebauungsplans sind nicht ersichtlich. Entgegen der Rüge der Antragstellerinnen haben bei der Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans durch die Beschlüsse vom 5. März 2007 keine ausgeschlossenen Stadtverordneten mitgewirkt.

Für die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans gelten die Vorschriften über seine Aufstellung (vgl. § 2 ff. BauGB; siehe Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 Rdnr. 155). Soweit das Baugesetzbuch oder sonstiges Bundesrecht keine Regelungen trifft, bestimmt sich das Verfahren nach Landesrecht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. April 1988 – BVerwGE 79, 200). Der Ausschluss der ehrenamtlich tätigen Stadtverordneten bestimmt sich daher nach § 28 der zurzeit der Beschlussfassung am 5. März 2007 noch geltenden Gemeindeordnung für das Land Brandenburg vom 10. Oktober 2001 (GVBl. I S. 154; zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. Juni 2006, GVBl. I S. 74).

Danach durften die Stadtverordneten Bö. und Z. weder beratend noch entscheidend an der Aufhebung des Bebauungsplans mitwirken. Für den Stadtverordneten Bö. galt ein Mitwirkungsverbot, weil er als Rechtsanwalt eines Teils der Grundstückseigentümer der im Plangebiet liegenden Grundstücke beratend und entgeltlich tätig geworden ist  (§ 28 Abs. 2  Nr. 3 GO). Das Mitwirkungsverbot für den Stadtverordneten Z. folgt aus § 28 Abs. 2 Nr. 1 GO, da er als Pfarrer der (…) Kirchengemeinde bei einer juristischen Person, der die Entscheidung über die Aufhebung des Bebauungsplans einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann, gegen Entgelt beschäftigt und nach den tatsächlichen Umständen ein Interessenwiderstreit anzunehmen ist. Die (…) Kirchengemeinde in Paretz ist nämlich Grundstückseigentümerin eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks.

Entgegen der Vermutung der Antragstellerinnen haben die Stadtverordneten Bö. und Z. tatsächlich weder beratend noch entscheidend an der Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans mitgewirkt. Ausweislich der Ausfertigung der Abwägungs- und Aufhebungsbeschlüsse vom 5. März 2007 waren drei Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung von der Beratung und Beschlussfassung ausgeschlossen. Aus der Niederschrift der Stadtverordnetenversammlung geht hervor, dass u.a. die Stadtverordneten Bö. und Z. „den § 28 GO“ angemeldet haben, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass eine Mitwirkung bei der Entscheidung unterblieben ist.

Auch der Umstand, dass der Stadtverordnete Bö. als Rechtsanwalt eines Teils der im Plangebiet gelegenen Grundstückseigentümer gegenüber den Antragstellerinnen vor und während des Aufhebungsverfahrens in Schriftsätzen die Interessen seiner Mandanten vertreten hat, führt nicht zu einer Verletzung des § 28 GO. Untersagt ist nach § 28 Abs. 1 GO die Mitwirkung in der Beratung während der Aussprache im Rahmen der Stadtverordnetenversammlung. Die der Antragsgegnerin vorab gegebenen Erläuterungen und Auskünfte stellen keine Beratung im Sinne von § 28 Abs. 1 GO dar (Schumacher, u.a., GO Bbg, Stand: Juni 2008, § 28 Anm. 3.2.1).

2. Die Satzung über die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans weist keine materiellen Mängel auf. Wird der Vorhaben- und Erschließungsplan nicht innerhalb der Frist nach § 12 Abs. 1 BauGB durchgeführt, soll die Gemeinde gemäß § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB den Bebauungsplan aufheben.

a. Der Vorhaben- und Erschließungsplan Wohnbebauung Paretz wurde nicht innerhalb der Frist nach § 12 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 2 Abs. 3 DV durchgeführt.

aa. Für die Beurteilung, ob der Vorhaben- und Erschließungsplan innerhalb der Frist nach § 12 Abs. 1 BauGB durchgeführt wurde, ist der Durchführungsvertrag maßgeblich, den die Gemeinde und der Vorhabenträger vereinbart haben. Aus § 12 Abs. 1 Satz 1 BauGB geht hervor, dass der Vorhabenträger sich im Durchführungsvertrag zur Durchführung des Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen innerhalb einer bestimmten Frist verpflichten muss. Diese Verpflichtung ist wesentlicher Gegenstand des Durchführungsvertrages. Sie sichert die zügige Durchführung des Vorhabens und der Erschließungsmaßnahmen und bringt zum Ausdruck, dass der vorhabenbezogene Bebauungsplan ein Instrument zur zügigen Realisierung des Vorhabens ist, für das Baurechte geschaffen wurden (vgl. Brügelmann, BauGB, § 12 Rdnr. 3). Hieraus folgt, dass die Festlegung und Einhaltung der Durchführungsfrist nicht etwa zur freien Disposition der Vertragsparteien steht, sondern es sich um ein im öffentlichen Interesse grundsätzlich strikt zu beachtendes Verfahrenserfordernis des vorhabenbezogenen Bebauungsplans handelt. Bei der Ausgestaltung der vertraglichen Durchführungsfristen zur Realisierung des Vorhabens können Abschnitte und Zwischenfristen vereinbart werden (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 Rdnr. 95), wobei sichergestellt sein muss, dass die Durchführung des Gesamtvorhabens innerhalb einer angemessenen Frist abgeschlossen ist.

bb. Dementsprechend haben sich in § 2 Abs. 3 DV die Antragstellerinnen ver-pflichtet, spätestens zwei Monate nach In-Kraft-Treten der Satzung bei der Unteren Bauaufsichtsbehörde vollständige und genehmigungsfähige Bauanträge einzureichen. Diese Durchführungsfrist ist auf Antrag der Antragstellerinnen durch Beschluss vom 3. April 2006 auf sechs Monate verlängert worden. Die Satzung über den vorhabenbezogenen Bebauungsplan trat nach § 10 Abs. 3 Satz 4 BauGB mit der der öffentlichen Bekanntmachung im Amtsblatt der Stadt Ketzin vom 20. Januar 2006 in Kraft. Dies hat zur Folge, dass die Antragstellerinnen verpflichtet waren, spätestens bis zum 20. Juli 2006 bei der Unteren Bauaufsichtsbehörde vollständige und genehmigungsfähige Bauanträge für die im Planungsgebiet zu errichtenden genehmigungspflichtigen baulichen Anlagen zu stellen.
Zu Recht geht die Antragsgegnerin davon aus, dass die Antragstellerinnen diese Pflicht nicht - insbesondere nicht bis zum 20. Juli 2006 - erfüllt haben. Ausweislich der Auskünfte des Landrats des Landkreises Havelland vom 10. Juli 2006 und vom 14. November 2008 haben die Antragstellerinnen bis zum 20. Juli 2006 keine Bauanträge gestellt. Soweit die Bauaufsicht mitteilt, dass am 21. November 2008 ein Vertreter der Vorhabenträgerinnen Antragsformulare für Bauanzeigen (vgl. § 58 BbgBO) ohne die dazu erforderlichen Bauvorlagen (§ 12 BbgBauVorlV, z.B. amtlicher Lageplan, Bauzeichnungen, Baubeschreibungen), dazu abgeben wollte, fehlt es an vollständigen und auch an fristgerecht ein-gereichten Bauanträgen im Sinne von § 2 Abs. 3 Satz 1 DV. Soweit die Antragstellerinnen geltend machen, der Bauherr Herr M. habe am 12. Dezember 2006 einen Bauantrag für ein Einfamilienhaus eingereicht, stellt dies keine fristgerechte Erfüllung der Verpflichtung aus § 2 Abs. 3 Satz 1 DV dar. Diese Pflicht ist nämlich nach der vertraglichen Regelung eine Pflicht des Vorhabenträgers selbst. Zudem erfolgte die Einreichung der Bauanträge nach dem 20. Juli 2006, also nicht fristgerecht, und beschränkt sich auf lediglich eines von 37 zu bauenden Wohngebäuden.

cc. Der Bewertung, dass die Antragstellerinnen Bauanträge für das Wohnbauvorhaben nicht innerhalb der Frist des § 2 Abs. 3 DV eingereicht und damit den Vorhaben- und Erschließungsplan nicht fristgerecht durchgeführt haben, steht der Einwand der Antragstellerinnen nicht entgegen, die Frist sei mit zwei Monaten objektiv zu kurz bemessen gewesen. Jedenfalls unter Berücksichtigung des Umstandes, dass durch Beschluss der Stadtverordnetenversammlung die Durchführungsfrist auf sechs Monate verlängert wurde, haben die Antragstellerinnen weder hinreichend dargetan noch ist sonst erkennbar, dass § 2 Abs. 3 DV nichtig wäre oder sonst einer Inhaltskontrolle nicht standhielte. Der Durchführungsvertrag ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne von § 54 Satz 1 VwVfG Bbg und ein Spezialfall des städtebaulichen Vertrages im Sinne von § 11 Abs. 1 und 4 BauGB (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 Rdnr. 97). Bei Abschluss des Vertrages waren die Vorhabenträger nicht verpflichtet, eine bestimmte Durchführungsfrist zu akzeptieren. Beide Seiten konnten verhandeln, bis der Vertragsinhalt von beiden angenommen wurde. Wäre die Frist des § 2 Abs. 3 DV tatsächlich zu kurz bemessen, hätten die Antragstellerinnen den Vertrag nicht annehmen dürfen. Trotz der durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gewährleisteten Vertragsfreiheit unterliegt der Durchführungsvertrag allerdings einer Inhaltskontrolle, insbesondere dahingehend, dass die vereinbarte Leistung nach den Gesamtumständen angemessen sein muss (§  11 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Bei Sittenwidrigkeit des Vertrages wäre diese nach § 59 Abs. 1 VwVfG Bbg i.V.m. § 138 BGB nichtig. Dass die Verpflichtung der Vorhabenträger spätestens sechs Monate nach In-Kraft-Treten der Satzung bei der Unteren Bauaufsichtsbehörde vollständige und genehmigungsfähige Bauanträge einzureichen, unangemessen oder gar sittenwidrig wäre, haben die Antragstellerinnen nicht hinreichend dargetan. Trotz des Umstandes, dass zur Durchführung des Bauvorhabens Bauanträge für 38 Gebäude zu erstellen wären, erscheint es für einen wirtschaftlich leistungsfähigen Vorhabenträger möglich und angemessen, unter Inanspruchnahme von Architekten und anderen Drittleistungen im Zeitraum von sechs Monaten derartige Anträge erarbeiten zu lassen und einzureichen. Hierfür spricht auch, dass der planungsrechtliche Rahmen durch den angegriffenen Bebauungsplan relativ genau konkretisiert ist und die zum Vorhaben gehörenden Wohngebäude im Wesentlichen aus sich wiederholenden Haustypen bestehen. Im Übrigen hatten die Vorhabenträger, selbst wenn man die lange Zeitspanne während der Aufstellung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans außer Betracht ließe, jedenfalls seit dem Beschluss über den vorhabenbezogenen Bebauungsplan am 28. November 2005 bis zum In-Kraft-Treten der Satzung am 20. Januar 2006 zusätzlich Zeit für Vorbereitungsarbeiten zur Erstellung der Bauanträge.

dd. Die Verletzung der Durchführungsfrist des § 2 Abs. 3 DV wird auch nicht durch den Einwand der Antragstellerinnen in Frage gestellt, dass die Stadtverordnetenversammlung am 12. Oktober 2006 nicht rechtswirksam über ihren Antrag, die Frist nochmals um drei Monate zu verlängern, entschieden habe.

In einem Durchführungsvertrag kann vereinbart werden, dass eine Verlängerung der Durchführungsfrist mit Zustimmung der Gemeinde möglich ist (VGH Mannheim, Beschluss vom 25. November 1996 – NVwZ 1997, 699; Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 Rdnr. 95). Dementsprechend haben die Vertragsparteien in § 2 Abs. 3 Satz 3 DV vereinbart, dass die Frist auf Antrag des Vorhabenträgers in begründeten Fällen und im gegenseitigen Einvernehmen verlängert werden kann. Das dort begründete Erfordernis des Einvernehmens führt dazu, dass eine Fristverlängerung nur bei positiver Zustimmung der Antragsgegnerin zustande kommt. Ob die Gemeinde die Zustimmung erteilt oder auf der Durchführung des Vorhabens innerhalb der vereinbarten Frist besteht, liegt in ihrem Ermessen (VGH Mannheim, Beschluss vom 25. November 1996 – NVwZ 1997, S. 699, 701).

Zu Recht weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass eine solche einvernehmliche Fristverlängerung mangels Vorliegens ihrer Zustimmung nicht gegeben ist und mit Blick auf die zwischenzeitliche Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans auch künftig eine Zustimmung nicht mehr zu erwarten ist. Ob der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 12. Oktober 2006, die Empfehlung des Bauausschusses, den Vorhabenträgern „eine letzte Frist bis zum
31. Dezember 2006“ zur Durchführung des Vorhabens zu setzen, abzulehnen, formell rechtmäßig oder unter Verletzung der gerügten §§ 28 Abs. 1 GO, 43, 44 GO zustande gekommen ist - für letzteres hat der Senat keine Anhaltspunkte -, ist daher unerheblich.

ee. Die Antragstellerinnen haben auch nicht hinreichend dargetan, dass sie einen Anspruch auf Anpassung der Durchführungsfrist des § 2 Abs. 3 DV hatten. Soweit sie sich auf § 15 Abs. 4 Satz 2 DV berufen, wonach die Vertragsparteien verpflichtet sind, diese Vereinbarungen, soweit erforderlich, mit Wohlwollen auszustatten und nach den Regeln über Treu und Glauben auszufüllen bzw. zu ergänzen, verkennen sie, dass diese allgemeine Auslegungs- und Wohlverhaltensregel auf die spezielle Regelung über die Frist zur Einreichung der Bauanträge - die an und für sich nicht auslegungsbedürftig ist - unanwendbar ist und keine vertragliche Anpassungspflicht zu begründen vermag. Die Antragstellerinnen haben auch nicht ansatzweise dargetan, dass hier eine Anpassung des Vertragsinhaltes nach § 60 VwVfG Bbg verlangt werden könnte. Die Anpassung des öffentlich-rechtlichen Durchführungsvertrages an wesentlich veränderte Verhältnisse kann nur unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 VwVfG Bbg verlangt werden. Dass sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts nach § 2 Abs. 3 Satz 1 DV maßgebend gewesen sind, seit  Abschluss des Vertrages am 28. November 2005 so wesentlich geändert hätten, dass den Vorhabenträgern das Festhalten an der ursprünglich genannten Durchführungsfrist zum Stellen der Bauanträge nicht mehr zumutbar gewesen wäre, haben die Antragstellerinnen weder in ihrem Verlängerungsantrag vom 20. Juli 2006 – der selbst keine Begründung enthält – noch im Normenkontrollverfahren dargetan. Soweit die Vorhabenträger Schwierigkeiten im Hinblick auf die Übereignung der im Plangebiet gelegenen Grundstücke geltend gemacht haben, hindert sie dies rechtlich nicht an der Einreichung von Bauanträgen, weil die schriftliche Zustimmung der Grundstückseigentümer nach § 62 Abs. 4 Satz 3 BbgBO nur auf ein besonderes Verlangen der Bauaufsichtsbehörde benötigt wird.

ff. Damit ist die Durchführungsfrist für eine Realisierung des Vorhabens, nämlich die Frist nach § 12 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 2 Abs. 3 DV nicht eingehalten worden, weshalb es keiner Entscheidung darüber bedarf, ob weitere Fristen (vgl. § 2 Abs. 2 DV) verletzt wurden. Aus § 2 Abs. 3 Satz 2 DV geht hervor, dass die Antragsgegnerin die Satzung bereits dann aufheben kann, wenn das Bauvorhaben ein-schließlich Erschließung nicht innerhalb der (Zwischen-) Frist des § 2 Abs. 3 Satz 1 DV durchgeführt worden ist.

b. Die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans erfolgte auch ohne Verletzung des Gebots der gerechten Abwägung (§ 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB i.V.m. § 1 Abs. 7 BauGB).

aa. Wird – wie hier – der Vorhaben- und Erschließungsplan nicht fristgerecht durchgeführt, soll nach § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB die Gemeinde den Bebauungsplan aufheben. Wegen dieser Sollvorschrift ist die Aufhebung des vor-habenbezogenen Bebauungsplans Regelfolge der nicht fristgerechten Durchführung des Vorhaben- und Erschließungsplans. Die Aufhebung erfordert aber gleichwohl eine Abwägung (vgl. Schlichter/Stich/Driehaus/Paetow, Berliner Kommentar zum BauGB, 3. Aufl., § 12 Rdnr. 35; Jäde u.a., BauGB; 5. Aufl., § 13 Rdnr. 75). Trotz des Wortlauts von § 1 Abs. 7 BauGB, der eine Abwägung nur bei der Aufstellung von Bebauungsplänen vorsieht, muss die Gemeinde auch bei der Aufhebung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans eine Abwägungsentscheidung treffen, in der die öffentlichen Belange und die privaten Belange, insbesondere der Vorhabenträger, einzustellen sowie gegeneinander und unter-einander gerecht abzuwägen sind. (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 12 Rdnr. 157).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 1 Abs. 7 BauGB (BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969, BVerwGE 34, 301; Urteil vom 5. Juli 1974, BVerwGE 45, 309; vgl. OVG Bln-Bbg., Urteil vom 19. März 2008 - 2 A 3.08 - veröffentlicht in Juris m.w.N.) ist das Gebot gerechter Abwägung verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet (Abwägungsausfall). Es ist verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht ein-gestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss (Abwägungsdefizit). Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen privaten Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten öffentlichen Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtung einzelner Belange außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969, BVerwGE 34, 301). Für die Abwägung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Aufhebung des Bebauungsplans maßgebend (vgl. § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB).

bb. Bei Anwendung dieser Vorgaben kann eine Verletzung des Abwägungsgebots nicht festgestellt werden.

(1) Eine Verletzung des Gebots der gerechten Abwägung durch einen Abwägungsausfall, also eines völligen Fehlens einer planerischen Abwägung ist nicht gegeben. Dass eine Abwägung stattgefunden hat, folgt bereits aus Ziffer 1 des Beschlusses vom 5. März 2007, wonach die Stadtverordnetenversammlung die Abwägung der von Bürgern, Behörden und Nachbargemeinden vorgebrachten Anregungen beschlossen hat. Auch der Umstand, dass der Abwägung ein Formulierungsvorschlag eines im Auftrag der Antragsgegnerin tätigen Rechtsanwaltes zugrunde lag, führt nicht zu einem Abwägungsausfall, da die Antragsgegnerin sich diesen Abwägungsvorschlag zu eigen gemacht hat. Zwar hat die Stadtverordnetenversammlung der Antragsgegnerin die von der Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans betroffenen öffentlichen und privaten Belange in eigener Verantwortung zu prüfen und zu bewerten. Dies schließt aber nicht aus, dass die Stadtverwaltung die Abwägung der Stellungnahmen durch eine Rechtsanwaltskanzlei vorbereiten lässt und den Entwurf der Stadtverordnetenversammlung zur Beschlussfassung vorlegt. Aus den Beschlussvorlagen der am 5. März 2007 getroffenen Beschlüsse geht der Sache nach hervor, dass die Stadtverordnetenversammlung sich den Abwägungsvorschlag des Rechtsanwaltes vom 12. Februar 2007 zu Eigen gemacht hat. Ziffer 3 des Abwägungsbeschlusses macht nämlich ausdrücklich die „Abwägungsvorschläge RA Dr. B.“ zum Bestandteil des Beschlusses.

(2) Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen kann auch nicht festgestellt werden, dass ein Abwägungsdefizit vorliegt, weil die Antragsgegnerin nicht alles an Belangen in die Abwägung eingestellt hätte, was nach Lage der Dinge ein-gestellt werden musste. Die Rüge der Antragstellerinnen, ihre privaten Belange an der Sicherung der bereits getätigten Investitionen für Erschließungsanlagen im Plangebiet in Höhe von über 500.000 € seien nicht berücksichtigt worden, vermag nicht zu überzeugen.

Es trifft zwar zu, dass die Gemeinde in ihre Abwägungsentscheidung zur Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans die privaten Belange des Vorhabenträgers, insbesondere bereits ins Werk gesetzte Maßnahmen und die dafür getätigten Aufwendungen einzustellen hat. Der Umstand, dass gemäß § 12 Abs. 6 Satz 2 BauGB aus der Aufhebung des Bebauungsplans Ansprüche des Vorhabenträgers gegen die Gemeinde nicht geltend gemacht werden können, steht dem nicht entgegen. Vielmehr gebietet gerade der Ausschluss von Ansprüchen des Vorhabenträgers, dessen getätigte Investitionen in die Abwägung einzustellen.

Die Antragsgegnerin hat jedoch in ihre Abwägung die privaten Belange der Antragstellerinnen an der Erhaltung und Verwertung der von ihr getätigten Investitionen eingestellt. Aus dem Abwägungsvorschlag, der Bestandteil des Ab-wägungsbeschlusses geworden ist, geht nämlich hervor, dass sich die Antragsgegnerin der bereits getätigten Investitionen und des wirtschaftlichen Interesses der Vorhabenträger bewusst war, sie aber der zeitnahen Umsetzung ihrer planerischen Absicht ein höheres Gewicht eingeräumt hat.

Soweit die Antragstellerinnen geltend machen, es habe bei der Abwägung einer detaillierten Darstellung ihrer Investitionen gefehlt, vermag dies kein Abwägungsdefizit zu begründen. Die Höhe und die detaillierte Zusammenstellung der getätigten Investitionen liegen in der Verantwortungs- und Verfügungssphäre des Vorhabenträgers, weshalb es ihm obliegt, die Investitionen und ihre Struktur im Einzelnen darzutun. Die Antragstellerinnen haben sich darauf beschränkt, die teilweise Fertigstellung von Erschließungsmaßnahmen für Wasser, Abwasser, Strom, Telefon, Gas und Erschließungsstraßen zu behaupten und pauschal die Investitionen in die Erschließungsanlagen mit „weit über 500.000 €“ zu beziffern. Dass es angesichts dessen seitens der Antragsgegnerin zur Zusammenstellung des Abwägungsmaterials geboten gewesen wäre, in der Verfügungssphäre der Vorhabenträgerinnen befindliche Informationen über die genaue Zusammensetzung und Struktur der Investitionen zu ermitteln, erschließt sich nicht.

(3) Die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans genügt auch ansonsten dem Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB. Die Antragsgegnerin hat die Bedeutung der betroffenen privaten Belange der Vorhabenträgerinnen nicht verkannt und den Ausgleich zwischen den von der Aufhebung berührten privaten und öffentlichen Belangen nicht in einer Weise vorgenommen, die zu einer objektiven Fehlgewichtung führen.

Da § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans als Regelfolge der nicht fristgerechten Durchführung vorsieht, stellt es eine legitime städtebauliche Entscheidung dar, dass die Stadt der zeitnahen Umsetzung ihrer planerischen Absichten ein höheres Gewicht einräumt als dem Interesse der Vorhabenträgerinnen an der Verwertung der von ihnen getätigten Investitionen. Dass im Fall der Durchführung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans „Wohnbebauung Paretz“ durch die Antragstellerinnen ein Ausnahmefall vorlag, der gegenüber der gesetzlichen Regelung des § 12 Abs. 6 Satz 1 BauGB durch atypische Umstände gekennzeichnet ist, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen würden, haben die Antragstellerinnen nicht dargetan. Vielmehr ist die Prognose der Antragsgegnerin, dass die Vorhabenträgerinnen finanziell nicht in der Lage sind, das Vorhaben in absehbarer Zeit zu realisieren, gerechtfertigt. Dabei ist nicht nur der von der Antragsgegnerin aufgeführte Umstand maßgebend, dass die (…) Kirchengemeinde P (…) gegen die Antragstellerinnen Forderungen in Höhe von 70.000 € durchzusetzen versucht, sondern auch der Umstand, dass vor dem Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Aufhebung des Bebauungsplans eine Gläubigerin einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat, weil die Antragstellerin zu 1. nicht mehr in der Lage war, ihre Zahlungspflichten zu erfüllen. Bestätigt wird diese Einschätzung dadurch, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin zu 1. bereits zuvor mehrfach als Schuldner eidesstattliche Versicherungen abgegeben hat. Dass die Antragstellerin zu 2., deren Geschäftsführerin die Ehegattin des Geschäftsführers der Antragstellerin zu 1. ist und deren Geschäftsgegenstand nicht die Durchführung von Wohnbauvorhaben, sondern der Vertrieb von Baumaschinen sowie eine Reparaturwerkstatt ist, alleine über die finanzielle Leistungsfähigkeit verfügte, das umfangreiche Bauvorhaben fristgerecht zu verwirklichen, ist weder ersichtlich noch von dieser dargetan.

Auch der Umstand, dass mit der Durchführung des Vorhaben- und Erschließungsplans durch Teilerrichtung der Erschließungsanlagen zwar begonnen wurde, aber die Durchführungsphase der Wohnbebauung noch aussteht und damit noch kein Stadium erreicht ist, in dem der Abschluss des Vorhabens in absehbarer Zeit möglich ist, sprach hier dafür, die privaten Belange der Vorhabenträger gegenüber den öffentlichen Belangen einer zeitnahen Verwirklichung ihrer Planungsabsichten zurücktreten zu lassen. Im Hinblick auf die Ordnung der städtebaulichen Entwicklung ist es auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin angesichts der wohl fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit der Vorhabenträger den vorhabenbezogenen Bebauungsplan vorzeitig aufhebt, statt die Durchführungsmaßnahmen im Bereich der Wohnbebauung auf den ohne den Bebauungsplan im Außenbereich gelegenen Grundstücken anlaufen zu lassen und damit weitere Investitionen der Vorhabenträger zu gefährden. Im Übrigen haben die Antragstellerinnen im Zeitraum bis zur Beschlussfassung über die Aufhebung des Bebauungsplans kein konkretes, in die Zukunft gerichtetes und schlüssiges Konzept dargetan, aus dem sich ergäbe, dass und wie die Realisierung des Bauvorhabens einschließlich der geplanten Wohngebäude trotz ihrer wirtschaftlichen Probleme noch umgesetzt werden könnte.

Auch soweit die Antragstellerinnen geltend machen, nicht sie, sondern Dritte seien für die Probleme bei der Vermessung der Grundstücke im Plangebiet verantwortlich, weshalb die Vorhabenträger keine Schuld an der nicht fristgerechten Durchführung des Vorhaben- und Erschließungsplans treffe, ist das für die Abwägung nicht erheblich. Für die Aufhebung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplanes ist nämlich unerheblich, ob den Vorhabenträger ein Verschulden trifft (Jäde, Bauplanungsrecht in der Praxis, 5. Aufl., § 12 Rdnr. 75).

Der Einwand der Antragstellerinnen, die Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplanes verstoße gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) vermag einen Abwägungsfehler nicht darzutun. Dabei ist bereits nicht ersichtlich, dass dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben vor dem Hintergrund der Regelungen des §§ 1 Abs. 7, 12 Abs. 6 BauGB für Abwägung der öffentlichen und privaten Belange überhaupt noch ergänzende Funktion zukommt. Die An-tragstellerinnen haben zudem jedenfalls einen Verstoß gegen Treu und Glauben, insbesondere eine missbräuchliche Rechtsausübung der Antragsgegnerin weder dargetan, noch ist er ansonsten ersichtlich. Dass die Eigentümer der im Plangebiet gelegenen Grundstücke vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden fehlenden finanziellen Leistungsfähigkeit jedenfalls einer Vorhabenträgerin ihre Interessen in der kommunalpolitischen Willensbildung geltend gemacht haben, insbesondere nach einer Besprechung vom 28. Juni 2006 - an der zeitweise auch der Bürgermeister der Antragsgegnerin teilgenommen hat - mitteilten, dass sie einen Wechsel der Vorhabenträger befürworten, mag bei der Abwägung eine Rolle gespielt haben, begründet aber keine rechtsmissbräuchliche Rechtsausübung der Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Aufhebung des vorhabenbezogenen Bebauungsplans. Dass die Antragsgegnerin etwa durch Handeln ihres Bürgermeisters die zur Verletzung der Durchführungsfrist nach § 12 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 2 Abs. 3 DV führenden Umstände selbst herbeigeführt hätte, folgt daraus nicht. Vielmehr liegen die in der mündlichen Verhandlung geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Realisierung des Vorhabens, etwa bei der Vermessung der Grundstücke und der Ab- und Übernahme der bereits hergestellten Erschließungsanlage durch den zuständigen Wasser- und Abwasserverband in der Verantwortungssphäre der Antragstellerinnen.